Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Die ästerreithisch·angarische Menarthie und die Nachfolzestasten. (Okt. 30.) 91 
Resolution des Vollzugsausschusses, worin erklärt wird, daß der 
Versuch des Ministers des Aeußern (s. S. 82), so rasch als möglich zu Ver- 
handlungen über den Waffenstillstand zu gelangen, gebilligt wird. Es sei 
jedoch nicht notwendig und daher nicht zulässig gewesen, diesen Versuch auf 
solche Weise zu unternehmen, daß dadurch zwischen Deutschösterreich und 
dem Deutschen Reich ein unheilbarer Riß entstehen könne, der die Zukunft 
des österr. Volkes gefährde. Die Prov. Nationalversammlung Deutschösterreichs 
protestiere gegen das Vorgehen des Ministers des Aeußern, der die Note 
an Wilson verfaßt und abgesandt habe, ohne mit den Vertretern der Re- 
gierung Deutschösterreichs das Einvernehmen gepflogen zu haben, um so 
mehr, als die Nation, der der gegenwärtige Minister des Aeußern angehöre, 
jede Gemeinsamkeit ausdrücklich ablehnt. Die Nationalversammlung erklärt, 
daß einzig und allein sie und ihre Organe befugt sind, das deutschösterr. 
Volk in der äußeren Politik, insbesondere bei den Friedensverhandlungen, 
zu vertreten. — Sämtliche Redner stimmen diesen Ausführungen zu. — 
Abg. Dr. Ellenbogen (Soz.) legt, vom Zusammenbruch Oesterreich-Ungarns 
an der Front und im Hinterlande ausgehend, die Notwendigkeit eines 
sofortigen Friedens dar. Der Friede hätte in den Tagen der deutschen 
Siege geschlossen werden müssen und nicht jetzt, wo der bewährte Bundes- 
genosse selbst in schwersten Nöten sei. Er bezeichnet das Verbleiben Kaiser 
Wilhelms als ein Friedenshindernis und tritt für die Errichtung der deutsch- 
österr. Republik als einzige vernünftige Staatsform unter den gegenwärtigen 
Verhältnissen ein. — Abg. Frhr. v. Pantz (Deutsch. Unabh.) beantragt, in 
die Note an Wilson einen Passus aufzunehmen, der das Selbstbestimmungs- 
recht auch für die Deutschen in Ungarn ausspricht; weiter stellt er einen 
Antrag zugunsten der Deutschen in der Bukowina. Er weist den Gedanken 
eines Bundes der österr. Völker zurück und erklärt, die Zukunft des deutschen 
Volkes in Oesterreich liege nur im Anschluß an das Deutsche Reich. 
Bei der Abstimmung wird die Note an Wilson und die Resolution 
angenommen. Die Anträge Pantz werden dem Vollzugsausschusse zugewiesen. 
Die Note an den Präsidenten Wilson macht zunächst von der 
Konstituierung des Staates Deutschösterreich Mitteilung und fährt dann 
fort: Der neue Staat beansprucht die Gebietshoheit über alle jene Gebiete 
des bisherigen Oesterreich, in denen die Deutschen die Mehrheit der Be- 
völkerung bilden. Er nimmt das Recht auf völkerrechtliche Persönlichkeit für 
sich in Anspruch, erkennt den anderen Nationen der Monarchie das un- 
eingeschränkte Recht zu, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft der Nationen 
in voller Freiheit zu bestimmen, und fordert dasselbe Recht auch für die 
deutsche Nation. Er verlangt, daß seine Vertreter als die Vertreter eines 
selbständigen Staates zu den Friedensverhandlungen zugelassen werden und 
mit den Vertretern der anderen Nationen über die Bedingungen des Friedens 
verhandeln, er behält seiner Regierung das Recht vor, den Frieden zu 
schließen. Der Vollzugsausschuß erklärt, daß niemand berechtigt ist, im 
Namen Deutschösterreichs über den Frieden zu verhandeln und Frieden zu 
schließen als die von der Deutschösterreichischen Nationalversammlung ein- 
gesetzte Vollzugsgewalt. Der Vollzugsausschuß der Prov. Deutschösterr. 
Nationalversammlung bittet daher den Präsidenten, ihm Gelegenheit zu 
bieten, unverzüglich in direkte Verhandlungen mit den Vertretern aller 
kriegführenden Mächte über einen allgemeinen Frieden einzutreten. Der 
Vollzugsausschuß verpflichtet sich zur Annahme der vom Präsidenten in 
der Botschaft v. 8. Jan. 1918 und in den Reden v. 12. Febr. und v. 4. Juli 
festgesetzten Grundsätze, betrachtet die tschecho-slowak. und die südflaw. Nation 
als vollkommen unabhängige Staaten und ist bereit, die Beziehungen des 
deutschösterr. Staates zu dem tschech und dem südslaw. Staate durch freie
	        
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