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Zweiter Teil.
Thronfolgestreitigkeiten.
l. Allgemeines.
Bei der Definition des Begriffes Verfassungsstreitigkeiten
ist die Frage unerörtert geblieben, ob Streitigkeiten über die
Thronfolge unter diesen Begriff zu subsumieren sind oder
ob sie eine Verfassungsstreitigkeit im Sinne des Art. 76 Abs. 2
der Reichsverfassung nicht begründen. Diese Frage ist deshalb
nicht berührt worden, weil es der folgenden speziellen Unter-
suchung überlassen bleiben sollte, festzustellen, ob der Bundes-
rat zur Erledigung von Thronfolgestreitigkeiten zuständig ist.
Die Beantwortung der letztgenannten Frage macht eine
genaue Erörterung aller derjenigen Gesichtspunkte erforder-
lich, welche für eine Zuständigkeit in dem angegebenen Sinne
überhaupt in Betracht kommen können.
Es mag hier vorab bemerkt werden, dass, wenn im folgen-
den der Ausdruck „Thronfolgestreitigkeiten“« gebraucht wird,
dieser in seiner umfassenderen Bedeutung zu verstehen ist,
so dass also unter diesen Begriff Thronfolgestreitigkeiten jeder
Art — also ausser den eigentlichen Thronfolgestreitigkeiten
auch Streitigkeiten betreffend die Regierungsnachfolge des
Monarchen und Regentschafisstreitigkeiten — zu begreifen
sind. Eine derartige Verschmelzung der Begriffe darf für zu-
lässig erachtet werden, da sämtliche in Betracht kommenden
Rechtssätze, wie auf Thronfolgestreitigkeiten, so in gleicher
Weise auf Thronstreitigkeiten anderer Art Anwendung finden.
ll. Die Zuständigkeit des Bundesrates auf Grund
des Artikels 76 der Reichsverfassung.
1. Subsumierung des Begriffs
„Ihronfolgestreitigkeiten“ unter den Begriff
„Verfassungsstreitigkeiten“.
Die Entstehungsgeschichte des Art. 76 Abs. 2 der Reichs-
verfassung lässt es meines Erachtens als unzweifelhaft er-