204 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
tigkeit wenig zusagt, kam in den Kreisen der Auserwählten zu reizender
Entfaltung; geistreicher, verführerischer als in Caroline Schelling's Briefen
hat Weiberliebe und Weiberbosheit selten geredet. Und wie mochte man
ohne Freude den edlen Fürsten betrachten, der alle diese großen Menschen
frei gewähren ließ, der sie alle verstand und dabei so fest und stattlich
sich selbst behauptete? Ganz unbekümmert stürmte Karl August in's junge
Leben, bis eigene Erkenntniß, nicht fremder Rath ihn lehrte „nach und
nach die freie Seele einzuschränken“.
Wenn die altfranzösischen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne,
damals zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des alten
Königthums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wisse nicht was leben
heißt, so konnten Deutschlands Dichter und Denker mit besserem Rechte
das Gleiche von ihrem goldenen Zeitalter sagen. Eine wunderbare Dich—
tigkeit des geistigen Daseins gestattete Jedem seine Gaben in Genuß und
That nach allen Seiten hin harmonisch zu entfalten; und es entsprach
nur den wirklichen Zuständen, wenn die schöne Geselligkeit sich besser
dünkte als der geistlose Staat, wenn die Briefe Schiller's und Goethe's
immer wieder die Sorge aussprachen, daß nur der Staat ja nicht „die
Freiheit des Particuliers“ antaste. Wie diese Künstlerwelt sich zum
Staate stellte, das zeigte Wilhelm Humboldt vornehm und geistvoll in
seiner Abhandlung über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates: der
höchste Zweck des Lebens, die Erziehung des Menschen zur Eigenthüm—
lichkeit der Kraft und Bildung, wird nur erreicht, wenn der Einzelne in
Freiheit und in mannigfaltigen Situationen sich bewegt; darum muß
die Zwangsanstalt des Staates auf die Sicherung von Hab' und Leben
sich beschränken, in Allem sonst den königlichen Menschen frei schalten
lassen; der Staat steht um so höher, je reicher und selbständiger sich die
Eigenart der Personen in ihm gestalten darf. So wurde die Kantische
Lehre vom Rechtsstaate im ästhetischen Sinne weiter gebildet; die dürre
Doctrin des naturrechtlichen Individualismus gewann Reiz und Leben
seit sie mit dem Cultus der freien Persönlichkeit sich vermählte. Die
Bewunderer des classischen Alterthums predigten die Flucht vor dem
Staate, das genaue Gegentheil hellenischer Tugend.
Bald genug sollte ein furchtbares Erwachen dem seligen Traume
folgen; bald genug sollte der Bildungsstolz erfahren, daß für edle Völker
Eines noch schrecklicher ist als das Banausenthum: — die Schande. Den—
noch trifft die Heroen der deutschen Dichtung in keiner Weise der Vor—
wurf, als ob sie irgend eine Mitschuld trügen an der Demüthigung ihres
Vaterlandes. Der Zerfall des alten deutschen Staates war entschieden;
die Theilnahme unserer Dichter an den politischen Ereignissen der Zeit
konnte das Verhängniß nicht wenden, konnte nur sie selber dem Ewigen
entfremden. Sie hüteten das Eigenste unseres Volkes, das heilige Feuer
des Idealismus, und ihnen vornehmlich danken wir, daß es noch immer