246 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
ist der Charakter des Kriegers? opfern muß er sich können. In ihm kann die
wahre Gesinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu
etwas, was über das Leben und seine Genüsse hinausliegt.“ In den selbst-
genügsamen Kreisen des Offizierscorps hatte man kaum ein geringschätziges
Lächeln übrig für die begeisterten Reden des sonderbaren Schwärmers; hier
herrschte noch der steife Dünkel der fridericianischen Zeiten und daneben eine
freche Tadelsucht, die an jedem Befehle der Vorgesetzten ihren Witz übte.
Niemand übersah noch vollständig, wie schwer die Armee durch den tiefen
Schlummer des jüngsten Jahrzehnts gelitten hatte. Am richtigsten vielleicht
urtheilte der König selbst: die Unordnung, das Besserwissen, die Schwerfällig-
keit in Allem und Jedem entgingen seinem klaren Blicke nicht; doch wie
hätte der Schüchterne gegen den weltberühmten alten Braunschweiger sein
Ansehen brauchen sollen? Der gemeine Soldat that mechanisch seine
Schuldigkeit. Die Massen des Volkes blieben kalt und gleichgiltig; nur die
Alten, die den großen König noch gekannt, vertrauten fest auf die scharfen
Fänge des preußischen Adlers, sprachen prahlend von dem Zuge nach Paris.
So begann der einzige gänzlich verlorene Feldzug der glückhaften
preußischen Kriegsgeschichte. Beispiellos wie das Aufsteigen dieses Staates
gewesen, sollten auch seine Niederlagen werden, allen kommenden Ge-
schlechtern unvergeßlich wie selbsterlebtes Leid, allen eine Mahnung zur
Wachsamkeit, zur Demuth und zur Treue. Napoleon flammte auf in
wilder Schadenfreude, als er die ruhmreichste der alten Mächte so hilflos
unter seinen Griffen sah; die Schmähungen troffen ihm von den Lippen;
noch niemals war er so ganz Leidenschaft, so ganz Haß und Grimm gewesen.
Er fühlte, daß in diesem Staate Deutschlands letzte Hoffnung lag; er ahnte
mit dem Instinkte der Gemeinheit, daß diese Hohenzollern doch von anderm
Metall waren als Kaiser Franz und die Satrapen des Rheinbundes. In
seinen Ansprachen an die Armee überschüttete er vor Allem die edle Königin
mit pöbelhaftem Schimpf; sie, die an den entscheidenden Berathungen des
Augusts gar keinen Antheil genommen, sollte die Schuld tragen an „dem
Bürgerkriege“, der das arglose Frankreich so ganz unvermuthet überraschte;
sie dürstete nach Blut, sie setzte, eine andere Armida, im Wahnsinn ihr
eigenes Schloß in Brand. Noch bevor die Schwerter an einander schlugen
war bereits entschieden, daß zwischen Napoleon und den Hohenzollern nie
wieder ein ehrlicher Friede bestehen konnte. Höhnend schloß der Imperator
sein Kriegsmanifest: möge Preußen lernen, daß, wenn es leicht ist durch
die Freundschaft der großen Nation Land und Leute zu gewinnen, ihre
Feindschaft schrecklicher ist als die Stürme des Oceans!
Wie Haugwitz durch die Eigenmächtigkeiten des letzten Winters den
Staat in seine verzweifelte diplomatische Lage gebracht hatte, so verschuldete
er auch die verfehlte Einleitung des Feldzugs. Trotz ihres ungeheuren
Trosses hatte die preußische Armee ihren Aufmarsch in Thüringen früher
beendet als der Feind; aber der beabsichtigte Einfall in Franken unterblieb,