Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

252 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
zurechtlegte: der meinte die Weltseele zu sehen, als Napoleon über das 
Feld von Jena sprengte, und zog aus dem Falle des alten Preußens 
die kluge Lehre, daß der Geist immer über geistlosen Verstand und Klügelei 
den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde dort in Thüringen der erste 
betäubende Eindruck des Unglücks rasch verwunden; erst unter dem unbarm- 
herzigen Drucke der folgenden Jahre lernte das mitteldeutsche Volk, wie fest 
sein eigenes Leben mit dem Schicksale des preußischen Staates verwachsen war. 
In den alten preußischen Provinzen begann der Umschwung der 
Stimmungen schon früher, unmittelbar nach den ersten Niederlagen. 
Napoleon's zügelloser, beständig wachsender Haß gegen Preußen nährte sich 
an dem geheimen Argwohne, daß in diesem Staate, trotz aller Schmach 
und Thorheit der jüngsten Wochen, doch eine unzähmbare Willenskraft 
schlummere, wie sie dem Imperator auf dem Festlande noch nie begegnet 
war. Was der preußische Soldat unter kräftiger Führung zu leisten ver- 
mochte, das lehrte der Rückzug des Blücher'schen Corps; in diesen Kämpfen 
wurden mehrere jener Helden, welche dereinst eine neue bessere Zeit über den 
Staat heraufführen sollten, zuerst bei Freund und Feind bekannt. Blücher 
ging mit den Ueberresten der Reservearmee und einigen anderen Truppen 
im Magdeburgischen über die Elbe um das Hohenlohische Corps zu er- 
reichen, und Oberst York mit seinen Jägern wehrte dem nachrückenden 
Feinde viele Stunden lang den Uebergang über den Fluß in dem glän- 
zenden Gefechte von Altenzaun. Als die Vereinigung mit Hohenlohe 
durch die Nachricht von der Prenzlauer Capitulation vereitelt wurde, faßte 
Scharnhorst den verwegenen Plan sich gegen Flanke und Rücken der Fran- 
zosen zu wenden, damit ein Theil des feindlichen Heeres von den Marken 
hinweggezogen würde. Die kleine Schaar warf sich nach Mecklenburg, 
und es gelang ihr wirklich, drei französische Armeecorps hinter sich her- 
zulocken. Inmitten der Sorgen und Nöthe dieses harten Rückzugs läu- 
terten sich in Scharnhorst's freier Seele schon die schöpferischen Gedanken 
der Heeresreform, die er bereits im Frühjahr in seiner Denkschrift über 
das Milizheer angedeutet hatte: mit überzeugender Klarheit erörterte er 
in Gadebusch, in einem Gespräche mit Müffling: wie die Theilnahm- 
losigkeit des gemeinen Soldaten unter den niederschlagenden Erfahrungen 
der letzten Wochen doch die schwerste, der letzte Grund alles Unglücks sei, 
und wie es jetzt gelte die Armee also umzugestalten, daß sie sich eins wisse 
mit dem Vaterlande.) Dann kämpfte das Corps noch mit verzweifeltem 
Muthe an den Thoren und in den Straßen Lübecks gegen die Ueber- 
macht des Feindes; erst als alle Munition und aller Proviant verloren, 
jeder Widerstand unmöglich war, legte Blücher bei Rattkau die Waffen 
nieder. Es waren Kämpfe voll Heldenzornes, wie sie der elende Feldzug 
  
*) So erzählt Müffling in einer Denkschrift über die Landwehr, die er am 12. Juli 
1821 an Hardenberg übersendete.
	        
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