Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Wirthschaftliche Erschöpfung des Staates. 277 
lasten eine progressive Einkommensteuer, die bis zu 20 vom Hundert stieg, 
ausgeschrieben; ein keineswegs reicher Stettiner Kaufmann mußte in dem 
Jahre nach dem Frieden für Contribution und Einquartierung mehr als 
15,000 Thlr. zahlen. 
Handel und Wandel stockten. Der britische Kaufmannsneid hatte den 
letzten Krieg rücksichtslos benutzt um die stärkste Handelsmarine der Ostsee— 
küsten zu zerstören. Als nachher der Krieg gegen Frankreich ausbrach, der 
Friede mit England noch nicht geschlossen war, sah sich die preußische Flagge 
gleichzeitig durch die britischen und die französischen Kreuzer bedroht. Dann 
kam der Jammer der Continentalsperre. Die Rhederei der pommerschen 
Häfen verringerte sich in kurzer Zeit von 34,000 auf 20,000 Last. Die alten 
natürlichen Straßen des Welthandels lagen verödet; die baltischen Provinzen 
verloren, da ihnen gute Landstraßen noch fast gänzlich fehlten, den Absatz- 
weg für ihren einzigen Exportartikel, das Getreide. Ein heilloser Schmuggel- 
handel führte von Gothenburg und Helgoland, dem neuen Klein-London, 
die Waaren der Colonien in's Land; andere Waarenzüge kamen aus Malta 
und Corfu durch Bosnien und Ungarn. Der preußische Mittelstand konnte 
die Preise der gewohnten Genußmittel nicht mehr erschwingen; man trank 
Cichorienwasser, rauchte Huflattich und Nußblätter. Bettelhaftes Elend 
in jedem Haushalt, jedem Gewerb: die Königsberger Buchdrucker ver- 
langten drei Wochen Frist um ein sechs Bogen langes Gesetz zu drucken, 
weil sie nur für einen Bogen Satz hatten. Schön, der gewiegte Finanz- 
mann, der sich gern seines altpreußischen Muthes rühmte, fand die Zu- 
stände so hoffnungslos, daß er schon vier Monate nach dem Frieden in 
einer Denkschrift ausführte: man müsse den Sieger durch die Abtretung 
des Magdeburgischen rechts der Elbe und eines Theiles von Oberschlesien 
befriedigen, sonst gehe das Land durch den Steuerdruck zu Grunde. 
Alles erinnerte an jene jammervollen Zeiten, da einst die Wallen- 
steiner in den Marken hausten und Georg Wilhelm als ein Fürst ohne 
Land in Königsberg weilte. Aber welche Saat von Liebe und Treue war 
während der sechs Menschenalter seitdem ausgegangen! Damals wider- 
setzte sich der Königsberger Landtag in störrischem Trotze seinem Kurfürsten; 
jetzt standen Fürst und Volk zu einander wie eine große Familie. Das 
ärmliche Landhaus bei Memel und die düsteren Räume des alten Ordens- 
schlosses in Königsberg wurden nicht leer von Besuchern, die ihrem Könige 
in seiner Noth eine Freude bereiten, ein gutes Wort sagen wollten; zu 
der Taufe der neugeborenen Königstochter erschienen die Stände von Ost- 
preußen als Pathen; an allen Läden hing das neue Bild, das den König 
in der häßlichen Uniform der Zeit inmitten seiner Kinder darstellte. Und 
wie viel königlicher als der Vater des großen Kurfürsten wußte Friedrich 
Wilhelm sein hartes Loos zu tragen. Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihm 
die Seele, mehr als je bedurfte er des herzlichen Zuspruchs seiner Ge- 
mahlin; er hatte Stunden, wo ihm zu Muthe war, als ob nichts ihm
	        
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