Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Hardenberg's Rigaer Denkschrift. 279 
bar, zu abhängig von der Stimmung des Augenblicks um sich leicht in 
die gleichmäßige Thätigkeit der Bureaus zu finden, aber Allen unschätzbar 
durch den unerschöpflichen Reichthum eines lebendigen Wissens, durch die 
Weite seines Blicks, durch den Adel einer hohen Leidenschaft; dann Nico- 
lovius, ein tiefes, von der religiösen Strömung der Zeit im Innersten 
bewegtes Gemüth; dann Sack, Klewitz und viele Andere, ein schöner Verein 
ungewöhnlicher Kräfte. Unter Allen stand der westphälische Freiherr von 
Vincke den Anschauungen Stein's am nächsten. Auch er hatte sich seine 
Ansicht vom Staate unter dem Adel und den Bauern der rothen Erde 
gebildet, nur daß der geborene Preuße die Verdienste des Soldbeamten- 
thums unbefangener anerkannte als der Reichsritter; er rechnete sich selber 
nicht zu den schöpferischen Köpfen, seine Stärke war die Ausführung, die 
rastlose Thätigkeit des Verwaltungsbeamten. 
Hardenberg, der auf Napoleon's Befehl zum zweiten male das Mini- 
sterium hatte verlassen müssen, sendete aus Riga eine große Denkschrift 
über die Reorganisation des preußischen Staats, die er dort im Verein 
mit Altenstein ausgearbeitet. Sie berührte sich vielfach mit den Ideen 
des neuen Ministers, manche ihrer Vorschläge waren seinen Aeußerungen 
wörtlich entlehnt — so der Gedanke einer Ständeversammlung für den 
gesammten Staat. Doch verrieth sich auch hier schon jener feine und tiefe 
Gegensatz, welcher den Jünger der Aufklärung von Stein's historischer 
Staatsanschauung immer getrennt hat. Hardenberg war zuerst Diplo- 
mat, in Verwaltungssachen bei weitem nicht so gründlich unterrichtet wie 
Stein, und nahm daher unbedenklich in seine Denkschrift einige allgemeine 
theoretische Sätze auf, wie sie Altenstein, der Freund Fichte's, liebte. Sein 
Reformplan war „nach der höchsten Idee des Staates“ bemessen; in der 
Handelspolitik sollte ohne Einschränkung der Grundsatz des laisser faire 
gelten. Während Stein die Revolution von frühauf mit dem Mißtrauen 
des Aristokraten betrachtet hatte und nur einige ihrer probehaltigen Er- 
gebnisse auf deutschen Boden verpflanzen wollte, war Hardenberg von 
den französischen Ideen ungleich stärker berührt worden. Er bezeichnete 
geradezu als das Ziel der Reform: „demokratische Grundsätze in einer 
monarchischen Regierung,“ schloß sich im Einzelnen eng an das Vorbild 
Frankreichs an, verlangte für das Heer die Conscription mit Stellver- 
tretung, und die altpreußischen Ehrenämter der Landräthe hätte er gern 
durch bureaukratische Kreisdirectoren verdrängt. Von der Selbstverwal- 
tung der Gemeinde sprach er gar nicht. Gemeinsam war beiden Staats- 
männern die sittliche Hoheit der Staatsgesinnung. Beide wollten, wie 
Altenstein's Entwurf sich ausdrückte, „eine Revolution im guten Sinne, 
gradehin führend zu dem großen Zwecke der Veredlung der Menschheit;"“ 
Beide wußten, daß Frankreich nur „eine untergeordnete, auf bloße Kraft- 
äußerung gerichtete Tendenz“ verfolge, und forderten von dem verjüngten 
deutschen Staate, daß er Religion, Kunst und Wissenschaft, alle idealen
	        
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