Die preußische Contribution. 321
neuerung unserer bildenden Kunst in köstlicher Freiheit, ohne jedes Zu—
thun der Höfe, gradeswegs aus den Tiefen des Volksgeistes. Erst als die
neue Richtung sich ihres Wesens und ihrer Ziele schon klar bewußt war, sollte
sie den Mäcenas finden, der ihr die Mittel bot zu großem Schaffen. —
Einige Monate lang that Stein seinem heißen Zorn Gewalt an.
Er gewann es über sich, nachgiebig, fast unterwürfig mit den Franzosen
zu unterhandeln, da die versprochene Räumung des Landes um jeden Preis
erlangt werden mußte. Napoleon dagegen wollte den Aufenthalt seiner
Truppen in's Unabsehbare verlängern, die zu Tilsit nur halb gelungene
Vernichtung des preußischen Staates jetzt im Frieden vollenden. Schon
im November 1807 erklärte er sich bereit die Donauprovinzen an Ruß-
land zu überlassen, wenn er dafür Schlesien erhielte und dem Könige von
Preußen nur noch ein Gebiet von zwei Millionen Köpfen übrig bliebe.
Auf alle Bitten der Preußen hieß es kurzab: die gegenwärtige Lage ge-
fällt dem Kaiser, nichts drängt ihn sie zu ändern — und wieder: der
König hat Geld genug, er braucht keine Armee, da er ja mit Niemand
Krieg führt! Daru aber meinte trocken: diese Kriegskostenrechnung sei eine
Frage der Politik, nicht der Arithmetik; im Uebrigen bleibe der Wille des
Kaisers unabänderlich wie das Fatum, auch glaube man gar nicht was
ein Land Alles aushalten könne. Vergeblich ging Prinz Wilhelm nach
Paris, vergeblich erbot er sich, sammt seiner edlen Gemahlin als Geisel
in französischer Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsschuld. Der
Imperator sagte dem Prinzen drohend: „ich weiß, daß alle Preußen mich
hassen,“ und ließ seine Intendanten hausen wie in Feindesland. Während
der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Contri-
butionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Millionen
Franken abgepreßt, etwa der sechzehnfache Jahresbetrag der gesammten Roh-
Einnahme des Staats;?) die Provinz Preußen allein zahlte 113 Mill.
Thaler. Nie und nirgends ward ein gesittetes Volk grausamer mißhandelt.
Als die Sieger endlich nach Monaten sich herbeiließen, den Betrag
ihrer Forderungen anzugeben, berechneten sie einen Rest von 154½ Mill.
Fr., während die preußischen Behörden nachwiesen, daß nach Napoleon's
ausdrücklichem Versprechen die Lieferungen von der Contribution abzu-
rechnen seien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe.
Was wollte es dieser ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß
die Landstände der Provinzen sich für einen Theil der Kriegsschuld ver-
bürgten? Die Forderung blieb unerschwinglich. Dazu die unablässigen
Rüstungen in Magdeburg, die französischen Armeecorps in Schwedisch-
Pommern, in Warschau, überall in den Landen diesseits der Weichsel;
und die wiederholte Versicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen
*) Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrich's d. Gr. und
Fr. Wilhelm's III. S. 505 f.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 21