Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Aufregung in Norddeutschland. 343 
sich vom deutschen Vaterlande gar nichts träumen ließen, daß ihr Auf- 
stand ebenso sehr den wohlthätigen Reformen als der bureaukratischen 
Härte der bairischen Regierung galt, daß die Macht der gedankenlosen 
Gewohnheit, der finstere Haß gegen die Ketzerei und die alte particula— 
ristische Abneigung wider den bairischen Nachbarstamm an dem Helden— 
muthe dieses Bauernkrieges reichen Antheil hatten. 
Bald da bald dort schlug der verhaltene Grimm in hellen Flammen 
aus dem deutschen Boden; der Eroberer erkannte dies geduldige Volk 
nicht wieder, meinte sich von tausend Vendeen umgeben. Im Tauber- 
grunde kämpften die vormaligen Unterthanen des deutschen Ordens ver- 
geblich gegen die Truppen ihres neuen württembergischen Herrn; sie 
wollten zurück zu dem stillen Glücke der guten alten deutschnärrischen Zeit. 
Die treuen Preußen im Ansbachischen empfingen mit offenen Armen das 
fliegende Corps, das der Heißsporn Karl von Nostitz durch Franken gegen 
die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichsstädter rissen jubelnd 
die bairischen Wappen von den Thoren als die Freischaar nahte. Von 
Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer- 
stedt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig, den Parteigängerkrieg 
gegen die sächsischen Lande — ein echter Welf, tapfer, hart und herrisch; 
Viele der Besten aus der norddeutschen Jugend drängten sich zu den 
Fahnen seiner schwarzen Schaar. Im Königreich Westphalen wurde zwei- 
mal, von den kurhessischen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine 
Schilderhebung gewagt und blutig niedergeschlagen; gegen das feste Magde- 
burg versuchte der preußische Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrumpelung. 
Unter den Patrioten im preußischen Heere und Beamtenthum war 
nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen 
es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun sollten? — „trage 
Fesseln wer will, ich nicht.“" Manche der entlassenen Offiziere fochten 
bereits in den Reihen der österreichischen Armee. Die Stimmung der 
preußischen Truppen war so offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte 
den König an die Stellung des versprochenen Hilfscorps zu erinnern; 
ihm graute vor solchen Bundesgenossen. So stürmisch flammte die Unge- 
duld, daß jetzt zum ersten male in der ehrenreichen Geschichte des preußischen 
Heeres ein Treubruch möglich wurde — ein Treubruch freilich, der nur 
den edlen Zweck verfolgte „dem geliebten Könige sein letztes Dorf zurück- 
zugeben". Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große Haufe 
nannte, war von dem Könige für seine wackere Haltung während des 
letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuerst nach dem Abzuge 
der Franzosen in die befreite Hauptstadt einrücken durfte. Seine Sol- 
daten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bürger 
trugen ihn auf den Händen, und da die Masse an Ideen erst glaubt 
wenn sie in einem Manne Fleisch und Blut gewinnen, so galt der tapfere 
Husar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegerischen Preußen=
	        
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