394 I. 3. Preußens Erhebung.
seines sächsischen Vasallen, lud seinen kaiserlichen Schwiegervater täglich,
den Hausherrn und den König von Preußen als Personen niederen
Ranges nur einen Tag um den anderen zu Tisch; derweil der Herrscher
tafelte, mußten die Herzoge von Weimar und Coburg mit einem Schwarme
deutscher Fürsten nebenan im Vorzimmer stehen. Ehrenhafte Franzosen
nannten es selber eine muthwillige Beschimpfung, daß man dem Könige
diese Reise zugemuthet habe; der Imperator aber versagte seinem Gaste
den üblichen Kanonensalut und redete den Eintretenden mit der Frage
an: Sie sind Wittwer?") Friedrich Wilhelm war empört, er wußte nur
allzu wohl, wer seiner Gemahlin das Herz gebrochen hatte; seinem Kron-
prinzen, der mit zugegen gewesen, blieb für das ganze Leben ein tiefer
Abscheu gegen die Familie Bonaparte. Sogar die bedientenhafte Be-
völkerung der schönen Elbstadt fühlte sich entrüstet über die grausame
Roheit des Corsen und ehrte die stille Größe des Unglücks wo immer
der König von Preußen sich zeigte. Indessen saßen Hardenberg und
Metternich in tiefem Vertrauen beisammen und schlossen gute Freund-
schaft, wenngleich die Absichten der beiden Mächte noch weit auseinander
gingen. Die Vernichtung Napoleon's wünschte Kaiser Franz seit der Ver-
mählung seiner Tochter nicht mehr; nur zu einer Beschränkung der un-
erträglichen französischen Uebermacht war Metternich bereit. So viel
hatte der österreichische Staatsmann aus den furchtbaren Lehren der
jüngsten Jahre doch gelernt, daß er eine mäßige Verstärkung der preußischen
Macht, allerdings unter manchem stillen Vorbehalte, für wünschenswerth
ansah; und seit Preußen sich durch das französische Bündniß nochmals
der Vernichtung entzogen hatte, begann er auch wieder an die Lebens-
kraft dieses Staates zu glauben. Die beiden Minister enthüllten ein-
ander gegenseitig ihre geheimen Beziehungen zu England, sie gelobten
sich, den vertraulichen Verkehr, den sie seit Jahren pflegten, noch lebhafter
als bisher fortzusetzen und in gutem Einvernehmen die Stunde zu er-
warten, die ihnen eine Veränderung der Allianzen erlaubte.
Wann diese ersehnte Stunde schlagen würde, das lag freilich noch
in tiefem Dunkel. Vorderhand konnte man nur auf irgend ein unvor-
hergesehenes Ereigniß, etwa auf den Tod Napoleon's hoffen. An den
Sieg Rußlands glaubten die Eingeweihten nicht. Es zeigte sich bald,
wie leichtsinnig Alegander seine Kräfte überschätzt hatte. Er stellte nur
etwa 175,000 Mann gegen die dreifache Uebermacht Napoleon's i#'s
Feld; erst beim Beginne des Feldzugs entschloß er sich den Türkenkrieg
zu beendigen und im Bukarester Frieden die Donauprovinzen größten-
theils aufzugeben, dergestalt daß seine Südarmee erst spät in den Krieg
eingreifen konnte. Bedeutende Generale hatte Rußland seit Suworow's
Tode kaum noch aufzuweisen, und wie man den wetterwendischen Czaren
kannte, mußten die Höfe für wahrscheinlich halten, daß er nochmals, wie
*) Hardenberg's Tagebuch 26. Mai 1812.