Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

398 I. 3. Preußens Erhebung. 
waffenlos, in abenteuerlicher Vermummung — eine gräßliche Maskerade, 
wie das Volk in Deutschland spottete, „Trommeln ohne Trommelstock, 
Kürassier' im Weiberrock, so hat sie Gott geschlagen mit Roß und Mann 
und Wagen.“ Aber auch der Sieger hatte durch Strapazen und Krank- 
heiten den größten Teil seines Heeres verloren; kaum 40,000 Russen 
erreichten die Grenze, allesammt tief erschöpft und über weite Entfernungen 
zerstreut, völlig unfähig zum Kampfe gegen die frischen Truppen Napo- 
leon's, welche das preußische Gebiet besetzt hielten. 
Die ersten unsicheren Nachrichten von der Katastrophe gelangten 
nach Dänemark, von da durch Dahlmann und seine deutschen Freunde 
in's innere Deutschland. Nachher erfuhr man, wie der Imperator, der 
allein mit Caulaincourt dem Heere vorauseilte, am 12. December in 
Glogau erschienen war, wie er dann in Dresden, gleichmüthig einen 
Gassenhauer trällernd, seinem bestürzten Vasallen die Unheilsbotschaft 
mitgetheilt hatte. Am 17. December brachte der Moniteur das neunund- 
zwanzigste Bulletin mit der Nachricht: die große Armee sei vernichtet, die 
Gesundheit Sr. Majestät sei niemals besser gewesen. Tags darauf er- 
schien der Imperator selbst in den Tuilerien. Bald nachher überschritten 
die Spitzen des französischen Heeres die preußische Grenze. Mit einem 
heiligen Entsetzen betrachtete das Volk die lebendigen Zeugen des ge- 
schlagenen Hochmuths, und von Millionen Lippen klang wie aus einem 
Munde der Ausruf: das sind Gottes Gerichte! 
Die Stunde für Deutschlands Befreiung hatte geschlagen. Niemand 
erkannte dies früher als Stein, der den russischen Feldzug von Haus 
aus nur als Vorspiel der deutschen Erhebung betrachtete. Er stand 
während des Krieges an der Spitze des deutschen Comitês in Peters- 
burg, betrieb die Ausrüstung der Deutschen Legion, die nach seinen Plänen 
den Kern des künftigen deutschen Heeres bilden sollte, und scheute sich 
nicht, unter den Rheinbundstruppen Aufrufe verbreiten zu lassen, die sie 
zur Fahnenflucht verleiten sollten. Was galten ihm auch die Eide, die 
den Sklaven des Zwingherrn geschworen waren? Zugleich schrieb der 
tapfere Arndt seinen Katechismus für den deutschen Kriegs= und Wehr- 
mann, ein köstliches Volksbuch, das in vielen tausenden von Exemplaren 
verbreitet, mit seiner einfältigen Wahrhaftigkeit, seiner frommen biblischen 
Sprache das gläubige Geschlecht im Innersten erschütterte: denn wer 
Tyrannen bekämpft, ist ein heiliger Mann, und wer Uebermuth steuert 
thut Gottes Dienst; das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt; das 
ist das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt! Bei Hofe kam man 
dem deutschen Freiherrn anfangs mit Mißtrauen entgegen; doch wie er 
nun vom ersten Augenblicke an die Niederlage des Feindes unbeirrt 
voraussagte und in seiner Herzensfreude über die Treue, den Opfermuth, 
die religiöse Begeisterung des russischen Volkes immer froher und liebens- 
würdiger wurde, da flogen ihm alle edlen Herzen zu und vor Allen die
	        
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