Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

400 I. 3. Preußens Erhebung. 
Patrioten, die ihn in Petersburg umgaben, allesammt Norddeutsche waren, 
so glaubte er noch immer nicht recht an die kriegerische Leidenschaft dieser 
kalten und langsamen Stämme. 
Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes sich zuerst erhöbe — daß 
der Krieg wie ein reißender Strom über die deutschen Grenzen hinein- 
fluthen müsse, verstand sich dem Reichsritter von selber. Für diesen Ge- 
danken suchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel. 
Alexander war in tiefster Seele erschüttert; in dem Rausche des Sieges 
traten alle edlen und alle phantastischen Züge seiner Natur zu Tage. 
Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Last der Sorge kaum zu tragen 
vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte sein Haar 
in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder 
des Himmels, nun fühlte er sich auserwählt durch Gottes Gnade, als 
ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlösen; 
nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort 
nahm er seine polnischen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; sein 
deutscher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutsch- 
lands sollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Interessen 
der Menschheit stimmten wieder einmal ganz wundersam mit den dynasti- 
schen Wünschen des Hauses Gottorp überein! Schon im November war 
Alexander so gut wie entschlossen seine Waffen nach Deutschland zu tragen. 
Der Kanzler Rumjanzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor 
allen Einfluß; der deutsche Freiherr behauptete sich in der Gunst des 
Czaren und zeigte bereits in einer Denkschrift der russischen Regierung 
die Mittel, welche ihr nachher ermöglichten, vierzig Millionen Rubel 
Papiergeld in Deutschland umzusetzen und also den Krieg fortzuführen. 
Wunderbar doch, wie sicher der große Patriot den springenden Punkt 
in der Lage der Welt — die Nothwendigkeit der deutschen Schilderhebung 
— herausfand, und wie gröblich er sich in allem Einzelnen irrte. Er 
kannte weder die Schwäche der russischen Streitkräfte, noch die bedacht- 
same Aengstlichkeit des Wiener Hofes, weder die Unfähigkeit des englischen 
Tory-Cabinets, noch den stumpfen Particularismus der Völkchen in den 
deutschen Kleinstaaten, die nirgends daran dachten, sich wider den Willen 
ihrer Dynastien zu erheben. Doch am allerwenigsten kannte er den hei- 
ligen Zorn, der in den Herzen der Preußen kochte, und die stillen Hoff- 
nungen, womit ihr König sich trug; eben dieser Staat, den der Freiherr 
sich nur im Schlepptau der anderen Mächte denken konnte, sollte den An- 
stoß geben zu dem europäischen Kriege. Hardenberg hatte sich während 
des Sommers bemüht das Einverständniß mit Oesterreich zu befestigen 
und deshalb im September den Flügeladjutanten von Natzmer nach Wien 
gesendet. Der Bevollmächtigte fand in Wien eine überaus freundliche 
Aufnahme. In seinem Antwortschreiben betheuerte Metternich mit Wärme, 
er vermöge die Interessen der beiden Staaten nicht von einander zu trennen;
	        
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