Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Napoleon's Pläne. 411 
die rheinbündischen Diplomaten, er wußte, daß jene gefährlichen deutschen 
Aufrührer nirgends mächtiger waren als in Preußen, und doch wollte er 
nicht eingestehen, daß diese verhaßte Macht ihm je bedrohlich werden könne. 
Geflissentlich trug er seine Verachtung gegen Preußen zur Schau, als 
wollte er seine geheimen Sorgen übertäuben: „die Preußen sind keine 
Nation, sie haben keinen nationalen Stolz, sie sind die Gascogner von 
Deutschland!“ Die einfachste Klugheit gebot ihm den Bundesvertrag von 
1812 gewissenhaft zu halten, der Krone Preußen keinen Vorwand zum 
Verlassen der erzwungenen Allianz zu bieten. Doch auf seiner einsamen 
Höhe hielt er es nicht mehr der Mühe werth nach den Empfindungen 
derer, die sein Fuß zertrat, zu fragen. Auf alle Mahnungen der preu— 
ßischen Unterhändler antwortete er mit leeren Reden, nicht einmal eine 
Prüfung ihrer Rechnungen konnten sie erreichen; und gleichzeitig erging 
an die Befehlshaber der Oderfestungen der vertragswidrige Befehl, daß 
sie sich Alles, was sie brauchten durch Requisitionen verschaffen sollten. 
Also that der Imperator genau was Friedrich Wilhelm's Gewissenhaftigkeit 
insgeheim wünschte; er setzte sich in's Unrecht, er selber zerriß das Bündniß, 
und der König war nach Völkerrecht unzweifelhaft befugt sich loszusagen 
von einem Vertrage, dessen Satzungen sammt und sonders von dem an— 
deren Theile mißachtet wurden. 
Auf Knesebeck's Sendung baute Hardenberg stolze Hoffnungen. Wäh— 
rend der König den Czaren im Herzen für seinen nächsten Freund an— 
sah, erstrebte der Staatskanzler seit Jahren zunächst ein Bündniß der 
drei „deutschen“ Großmächte — denn auch England wurde wegen Han— 
nover noch zu den deutschen Mächten gerechnet. Seine hochgespannten Er— 
wartungen sollten gründlich getäuscht werden. Der sofortige Eintritt des 
Kaiserstaates in ein Kriegsbündniß war schon deshalb ganz außer Frage, 
weil Napoleon in solchem Falle sicher wieder die wohlbekannte Sieges- 
straße der Donau entlang eingeschlagen und, bei dem elenden Zustande 
der Armee und der Finanzen Oesterreichs, rasch seinen dritten Einzug 
in die Kaiserstadt gehalten hätte. Eben dies wollte Kaiser Franz um 
jeden Preis verhindern. Von Natur friedfertig, ein Freund der sanften 
Mittel und der kleinen Ränke fand Graf Metternich die Lage der Welt 
durchaus nicht reif für eine große Entscheidung. Wie sollte ein durch— 
schlagender Erfolg erfochten werden — so äußerte sich Gentz — da alle 
Mächte des Festlandes tief ermattet seien und auch Englands Kräfte 
durch die Subsidienzahlungen für einen europäischen Krieg leicht erschöpft 
werden könnten? Dazu die natürliche Angst vor der nationalen Leiden— 
schaft der norddeutschen Patrioten. In Wien — dieser Ruhm wird der 
Nüchternheit der österreichischen Staatskunst verbleiben — in Wien ist 
seit den Tagen des Großen Kurfürsten bis zum Jahre 1866 nicht einen 
Augenblick der gutmüthige Wahn gehegt worden, als ob die Verstärkung 
des norddeutschen Nebenbuhlers im Interesse Oesterreichs liege. Wenn
	        
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