Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

446 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
wieder auf seine deutschen Erblande beschränkt zu werden; in seinen Brie- 
fen freilich versicherte er salbungsvoll, daß er nicht aus persönlichem In- 
teresse handele, sondern sich lediglich verpflichtet fühle, sein Kurland für 
die Leiden der Franzosenherrschaft zu belohnen. Sir Charles Stewart, 
der zu Anfang April nach Deutschland hinüberkam, war beauftragt, das 
Hildesheimer Land, das die Welfen schon im Jahre 1802 nur ungern 
den Hohenzollern gegönnt hatten, sowie die altpreußischen Gebiete Minden 
und Ravensberg für das Welfenreich zu verlangen. 
Der alternde Staatskanzler war, trotz seiner raschen Feder, der er- 
drückenden Arbeitslast seines Amtes nicht mehr gewachsen und doch nicht 
gewillt, seine Herrscherstellung über den Ministern aufzugeben. In dem 
Strudel von Arbeiten und frivolen Zerstreuungen sah er seinen könig- 
lichen Herrn allzu selten, der Geschäftsgang in der Staatskanzlei begann 
schleppend und nachlässig zu werden. Leichtfertige Freigebigkeit den welfi- 
schen Ansprüchen gegenüber ließ sich ihm gleichwohl nicht vorwerfen. Fast 
ein Vierteljahr lang hat er diese widerwärtigen Verhandlungen geführt, 
erst durch Niebuhr, nachher persönlich. Welch ein Anblickl Dies reiche 
England, das sich stolz den Vorkämpfer der Freiheit Europas nennt, läßt 
seinen tapfersten Bundesgenossen, der zum Verzweiflungskampfe stürmt, 
monatelang in unerträglicher Bedrängniß, feilscht mit ihm um Seelen 
und Schillinge — und dies wegen der dynastischen Laune eines unfähigen 
Fürsten, die das Wohl des englischen Staates nicht im entferntesten be- 
rührt! Genug, als der Feldzug begann war man noch immer nicht im 
Reinen und der preußische Staat in erdrückender Geldnoth. 
Selbst das mit Rußland bereits verbündete Schweden hatte mit Preu- 
ßen noch keinen Vertrag abgeschlossen. Als die Schweden einst den schlauen 
Karl Johann Bernadotte zu ihrem Thronfolger wählten, erwarteten sie 
bestimmt, der napoleonische Marschall würde, getreu den alten Traditionen 
schwedischer Politik, sich an Frankreich anschließen und mit Napoleon's 
Hilfe das verlorene Finnland von den Russen zurückgewinnen. Der kluge 
Kronprinz ging jedoch andere Wege. Er sah, daß sein Ackerbauland die 
Continentalsperre nicht ertragen konnte, desgleichen daß die Wiederer- 
oberung von Finnland sehr unwahrscheinlich war. Darum beschloß er, 
durch die Erwerbung von Norwegen sein neues Vaterland zu entschädigen, 
seine junge Dynastie im Volke zu befestigen. Schon seit dem Beginne 
des russischen Krieges stand er mit dem Czaren im Bündniß. Seitdem 
wurde der Kopenhagener Hof von Rußland, England und Schweden 
dringend aufgefordert, Norwegen aufzugeben und der großen Allianz bei- 
zutreten; selbstverständlich sollten die Dänen sich schadlos halten an jener 
großen Entschädigungsmasse, die man Deutschland nannte. Der russische 
Gesandte in Stockholm versprach dem dänischen Geschäftsträger, dem 
jungen Grafen Wolf Baudissin, im Namen Englands: beide Mecklen- 
burg, das schwedische und vielleicht auch das preußische Pommern, „zwei
	        
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