Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

448 I. 4. Der Befreiungzkrieg. 
kündigten sie den norddeutschen Staaten schärfere Maßregeln an. Der 
Breslauer Vertrag vom 19. März bedrohte — ganz im Sinne jener 
Petersburger Denkschrift Stein's — alle deutschen Fürsten, die sich nicht 
in bestimmter Frist dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes an- 
schlössen, mit dem Verlust ihrer Staaten; ein Centralverwaltungsrath 
unter dem Vorsitze des Freiherrn sollte in sämmtlichen norddeutschen 
Landen — allein Hannover und die vormals preußischen Provinzen aus- 
genommen — provisorische Regierungen einrichten, die militärischen Rü- 
stungen leiten und die Staatseinkünfte für die Verbündeten einziehen. 
Den Süden ließ man stillschweigend aus dem Spiele, da Hardenberg an 
seinen dualistischen Plänen gewissenhaft festhielt und demnach dem öster- 
reichischen Hofe in Süddeutschland nicht vorgreifen wollte. In Wien, 
in London und an allen Rheinbundshöfen erregte dieser erste Versuch 
praktischer deutscher Einheitspolitik stürmischen Unwillen. Man fragte 
zornig, ob dieser Jacobiner Stein deutscher Kaiser werden solle. Metter- 
nich und Münster waren sofort entschlossen, die Wirksamkeit der unheim- 
lichen unitarischen Behörde zu beschränken. 
Noch schärfer redete die Kalischer Proclamation des russischen Ober- 
befehlshabers Kutusow vom 25. März. Sie sprach die Hoffnung aus, kein 
deutscher Fürst werde der deutschen Sache abtrünnig bleiben und also „sich 
reif zeigen der verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen 
Meinung und durch die Macht gerechter Waffen“. Ein junger Obersachse, 
Karl Müller, hatte das pathetische Schriftstück entworfen, ein fanatischer 
Teutone, der den Generalstab gern in ein Hildamt verwandeln, die Ge- 
neraladjutanten zu Hauptwernolden umtaufen wollte. Ganz so haltlos 
und verschwommen wie die vaterländischen Träume der begeisterten Jugend 
waren auch die Verheißungen für Deutschlands Verfassung, welche der 
Feldmarschall im Namen der verbündeten Monarchen gab. Er versprach, 
daß die Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs allein den Fürsten und Völ- 
kern Deutschlands anheimgestellt bleiben, der Czar nur seine schützende Hand 
darüber halten solle. „Je schärfer in seinen Grundlagen und Umrissen das 
Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes, 
desto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird Deutschland 
wieder unter Europas Völkern erscheinen können!“ — Hochtönende, wohl- 
gemeinte Worte, nur schade, daß sie jedes klaren Sinnes entbehrten. Sie 
sollten nachher in einem Menschenalter der Verbitterung und Verstimmung 
eine ganz ungeahnte Bedeutung gewinnen. Auf sie vornehmlich beriefen 
sich späterhin die enttäuschten Patrioten, um zu beweisen, daß die Nation 
von ihren Fürsten betrogen sei — während doch leider der ureigene Geist 
des deutschen Volkes selber von den unerläßlichen Vorbedingungen der 
deutschen Einheit damals noch eben so wenig ahnte, wie seine Fürsten. 
Die Drohungen der Verbündeten entsprangen der richtigen Erkennt- 
niß, daß die Satrapen Napoleon's nur noch für die Sprache der Gewalt
	        
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