Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Schlacht von Großgörschen. 457 
einfach kühnen Rath: man solle die Uebermacht des Feindes schon auf dem 
Anmarsch überraschen, seine Marschcolonnen durch einen Flankenangriff 
durchbrechen. Der verwegene Plan konnte nur durch die höchste Schnellig— 
keit und Einfachheit der Ausführung gelingen. General Diebitsch, der in 
Wittgenstein's Auftrag die Anordnungen traf, leitete jedoch den Anmarsch so 
unglücklich, daß die Corps von Blücher und York einander durchkreuzten. 
Erst um Mittag des 2. Mai konnten die Preußen den Angriff be— 
ginnen auf die zwischen den Büschen versteckten vier Dörfer Groß- und 
Klein-Görschen, Rahna und Caja, welche Ney mit gewaltiger Uebermacht 
hielt. Unter brausendem Hurrahruf stürmten ihre Regimenter heran, 
noch niemals waren die französischen Legionen einem solchen Ungestüm 
kriegerischer Begeisterung begegnet. Nichts von der natürlichen Unsicher- 
heit junger Truppen; ein Sturm des Zornes schien Jeden fortzureißen; 
Niemand konnte sich auszeichnen, so groß war die Tapferkeit Aller! Nach 
zweistündigem mörderischem Kampfe wurden drei von den Dörfern den 
Franzosen entrissen. Da eilte Napoleon selbst von der Leipziger Straße 
herbei, versuchte mit frischen Truppen die Schlacht herzustellen. Er mußte 
mit ansehen, wie die preußische Garde durch einen zweiten furchtbaren 
Angriff die vier Dörfer sämmtlich nahm; kam die Reserve der Verbün— 
deten rechtzeitig heran, so war die Marschlinie der Franzosen durchbrochen, 
ihrem Hauptheere eine schwere Niederlage bereitet. Auf einen Augenblick 
wurde der Imperator unsicher. „Glaubt Ihr, daß mein Stern unter— 
geht?“ fragte er zweifelnd seinen Berthier, und beim Anblick des Todes— 
muthes der Preußen entfuhr ihm der Ausruf: „Diese Thiere haben etwas 
gelernt.“ Doch Wittgenstein's Reserven blieben aus; das Corps von Milo— 
radowitsch wurde durch ein unglückliches Mißverständniß dem Schlacht— 
felde fern gehalten, und die russischen Garden erschienen erst auf der 
Wahlstatt als mit dem Anbruch der Nacht der Kampf zu Ende ging. Die 
Reiterei der Verbündeten gelangte nicht zu entscheidendem Eingreifen, da 
Wittgenstein sich völlig unfähig zeigte die Leitung des Heeres in der Hand 
zu behalten und eigentlich Niemand den Oberbefehl führte; ihr Fußvolk 
verbiß sich in den blutigen Kampf um die Dörfer, der bei der Ueber— 
legenheit der feindlichen Infanterie keinen günstigen Ausgang versprach. 
Währenddem zog Napoleon von Norden her neue Verstärkungen heran, 
und gegen sieben Uhr fühlte er sich stark genug um, nach seiner Gewohn— 
heit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemasse einen entscheiden— 
den Stoß zu wagen. Als die Finsterniß hereinbrach, behaupteten sich die 
Preußen nur noch in Großgörschen, die drei anderen Dörfer waren von 
den Franzosen zurückgewonnen, der Feind hielt das Heer der Alliirten in 
weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter Angriff der Reiterei 
von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht hinein geführt 
scheiterte an der Ungunst des Terrains. 
Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu-
	        
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