Schlacht von Großgörschen. 457
einfach kühnen Rath: man solle die Uebermacht des Feindes schon auf dem
Anmarsch überraschen, seine Marschcolonnen durch einen Flankenangriff
durchbrechen. Der verwegene Plan konnte nur durch die höchste Schnellig—
keit und Einfachheit der Ausführung gelingen. General Diebitsch, der in
Wittgenstein's Auftrag die Anordnungen traf, leitete jedoch den Anmarsch so
unglücklich, daß die Corps von Blücher und York einander durchkreuzten.
Erst um Mittag des 2. Mai konnten die Preußen den Angriff be—
ginnen auf die zwischen den Büschen versteckten vier Dörfer Groß- und
Klein-Görschen, Rahna und Caja, welche Ney mit gewaltiger Uebermacht
hielt. Unter brausendem Hurrahruf stürmten ihre Regimenter heran,
noch niemals waren die französischen Legionen einem solchen Ungestüm
kriegerischer Begeisterung begegnet. Nichts von der natürlichen Unsicher-
heit junger Truppen; ein Sturm des Zornes schien Jeden fortzureißen;
Niemand konnte sich auszeichnen, so groß war die Tapferkeit Aller! Nach
zweistündigem mörderischem Kampfe wurden drei von den Dörfern den
Franzosen entrissen. Da eilte Napoleon selbst von der Leipziger Straße
herbei, versuchte mit frischen Truppen die Schlacht herzustellen. Er mußte
mit ansehen, wie die preußische Garde durch einen zweiten furchtbaren
Angriff die vier Dörfer sämmtlich nahm; kam die Reserve der Verbün—
deten rechtzeitig heran, so war die Marschlinie der Franzosen durchbrochen,
ihrem Hauptheere eine schwere Niederlage bereitet. Auf einen Augenblick
wurde der Imperator unsicher. „Glaubt Ihr, daß mein Stern unter—
geht?“ fragte er zweifelnd seinen Berthier, und beim Anblick des Todes—
muthes der Preußen entfuhr ihm der Ausruf: „Diese Thiere haben etwas
gelernt.“ Doch Wittgenstein's Reserven blieben aus; das Corps von Milo—
radowitsch wurde durch ein unglückliches Mißverständniß dem Schlacht—
felde fern gehalten, und die russischen Garden erschienen erst auf der
Wahlstatt als mit dem Anbruch der Nacht der Kampf zu Ende ging. Die
Reiterei der Verbündeten gelangte nicht zu entscheidendem Eingreifen, da
Wittgenstein sich völlig unfähig zeigte die Leitung des Heeres in der Hand
zu behalten und eigentlich Niemand den Oberbefehl führte; ihr Fußvolk
verbiß sich in den blutigen Kampf um die Dörfer, der bei der Ueber—
legenheit der feindlichen Infanterie keinen günstigen Ausgang versprach.
Währenddem zog Napoleon von Norden her neue Verstärkungen heran,
und gegen sieben Uhr fühlte er sich stark genug um, nach seiner Gewohn—
heit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemasse einen entscheiden—
den Stoß zu wagen. Als die Finsterniß hereinbrach, behaupteten sich die
Preußen nur noch in Großgörschen, die drei anderen Dörfer waren von
den Franzosen zurückgewonnen, der Feind hielt das Heer der Alliirten in
weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter Angriff der Reiterei
von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht hinein geführt
scheiterte an der Ungunst des Terrains.
Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu-