Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

458 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
Hhischen Lager erwartete die Wiederaufnahme des Gefechts für den folgen- 
den Morgen; aber hatten die Verbündeten schon am Abend mit ihren 
70,000 Mann gegen eine fast zweifache Uebermacht gefochten, so mußten 
sie am nächsten Tage, wenn Napoleon alle seine Streitkräfte aus der 
Leipziger Umgegend herangezogen hatte, einem noch ungleicheren Kampfe 
entgegensehen. Unverfolgt traten sie den Rückzug nach der oberen Elbe 
an. Mindestens 10,000 Mann von den Verbündeten und eine weit grö- 
ßere Anzahl Franzosen waren auf dem Schlachtfelde geblieben. Die Truppen 
fühlten sich unbesiegt, sie hatten selber mehrere Trophäen erbeutet und 
keine einzige in den Händen des glücklichen Gegners zurückgelassen; über- 
all wo sie den Feind in gleicher Anzahl getroffen, waren sie ihm über- 
legen gewesen. Die Kosaken riefen auf dem Rückzuge fröhlich ihr: Pascholl! 
Franzos kaput! Im preußischen Heere lebte das stolze Bewußtsein, daß 
man unter fremden und unfähigen Führern die Ehre der Fahnen wieder 
hergestellt, den Siegern von Jena sich ebenbürtig erwiesen habe. Hin- 
gerissen von dem Anblick der wieder erwachten deutschen Waffengröße sang 
Arndt sein Lied auf den Tag von Großgörschen: 
Tapfre Preußen, tapfre Preußen, 
Heldenmänner, seid gegrüßt! 
Beste Deutsche sollt ihr heißen 
Wenn der neue Bund sich schließt! 
Unter den Opfern des blutigen Tages war auch Scharnhorst. Im 
siebenjährigen Kriege hatte ein grausames Geschick fast alle preußischen 
Heerführer dahingerafft; während des Befreiungskrieges blieben sie sämmt- 
lich verschont. Nur dieser eine Eine fiel — der mächtige Geist, aus dessen 
lichtem Haupte das deutsche Volksheer gepanzert aufstieg wie Pallas aus 
dem Haupte des Zeus. Er wollte die leichte Wunde, die er bei Groß- 
görschen empfangen, nicht ruhig heilen lassen. Seit man die Schwäche 
der russischen Armee und die Lauheit ihrer Führer vor Augen sah, stand 
im preußischen Hauptquartiere die Ueberzeugung fest, daß nur Oesterreichs 
Beistand den Sieg verbürge. Bald nach der Schlacht kündigte der König 
in einem Parolebefehle seinen Truppen an: „in wenigen Tagen wird uns 
eine neue mächtige Hilfe zur Seite stehen.“ Scharnhorst wußte, auf wie 
schwachen Füßen diese Hoffnung stand, und beschloß daher, trotz der War- 
nungen der Aerzte, selber nach Wien zu gehen und durch persönliche Ueber- 
redung den österreichischen Staatsmännern den entscheidenden Entschluß 
zu entreißen. Unterwegs verschlimmerte sich die Wunde. Während er in 
Böhmen einsam auf dem Krankenbette lag, schweiften seine Gedanken hin- 
über zu dem vaterländischen Heere. So viel herrliche Kraft war ver- 
geudet durch die Fehler der russischen Heeresleitung; er hatte die Preußen 
gerüstet und fühlte, daß er sie zum Siege führen würde wenn man ihn 
frei gewähren ließ an Blücher's Seite. Der sterbende Mann konnte den 
großen Ehrgeiz, der ihn verzehrte, nicht länger in seiner verschlossenen
	        
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