464 I. 4. Der Befreiungskrieg.
die Unterhandlungen mit Rußland führen: vielleicht wiederholten sich die
Tilsiter Vorgänge, wenn man dem Czaren „eine goldene Brücke baute“,
wenn Warschau zwischen Rußland und Preußen aufgetheilt, der preußische
Staat über die Oder zurückgeschoben und also dem Czaren völlig unter-
worfen würde! Trog diese Hoffnung, so mußten freilich — Napoleon und
seine Marschälle fühlten es wohl — die Verbündeten aus dem Waffen-
stillstande größeren Gewinn ziehen als der Imperator selber. Aber auch für
den Fall der Fortsetzung des Krieges schien ihm die Waffenruhe unentbehr-
lich. Er brauchte Zeit, um sein Heer, namentlich die Reiterei zu verstärken
und er wollte durch starke Rüstungen in Illyrien sich gegen den Abfall
Oesterreichs sicherstellen. Diese beiden Beweggründe gab er seinen Ge-
neralen als die entscheidenden an. Am 4. Juni schloß er den Waffen-
stillstand von Pläswitz'). Wie scharf er auch rechnete, er täuschte sich über,
die Kräfte des preußischen Staates und über das Wesen dieses Krieges,
das jede halbe Lösung ausschloß. Er wußte nicht, daß die Verbündeten
im geheimen Einverständniß mit Oesterreich den Waffenstillstand annahmen
und mit wachsender Zuversicht auf den Beitritt der Hofburg zu der
Coalition hofften. Schon am 16. Mai hatte Knesebeck mit den Russen
Toll und Wolkonsky einen neuen Feldzugsplan verabredet, der durchaus
auf die Mitwirkung Oesterreichs berechnet war.
Graf Metternich stand am Ziele seiner Wünsche. Eine seltene Gunst,
des Glücks fügte Alles nach seinen Hoffnungen, warf dem Staate, der
für die Befreiung der Welt noch nichts gethan, die Entscheidung in den
Schooß. Die kämpfenden Theile hielten einander durchaus das Gleich-
gewicht, wie man in Wien immer vorausgesagt; sie mußten, trotz Napo-
leon's Widerwillen, die Mediation der Hofburg annehmen. Nun konnte
Oesterreich ihnen nach seinem Ermessen den Frieden auferlegen oder, falls
wider Verhoffen die Waffen nochmals ausgenommen wurden, mit seiner
wohlgeschonten Kraft als führende Macht in die Coalition eintreten. Stein
und Arndt, Blücher und die gesammte preußische Armee empfingen die
Nachricht von der Einstellung der Feindseligkeiten mit tiefem Unmuth:
nichts entsetzlicher als ein fauler Friede nach solchen Opfern! Der In-
grimm wuchs noch als man erfuhr, daß die Lützower Freischaar in den
ersten Tagen der Waffenruhe von Rheinbündnern verrätherisch überfallen
und fast vernichtet worden war. Der König hielt für nöthig sein treues
Volk durch eine Proclamation zu beruhigen: der Waffenstillstand, sagte
er stolz, sei angenommen, damit die Nationalkraft sich völlig entwickeln
könne; wir haben den alten Waffenruhm wieder gewonnen, bald werden
wir stark genug sein auch unsere Unabhängigkeit zu erkämpfen. Zugleich
befahl er bei Spandau ein verschanztes Lager anzulegen, damit Preußen
im Nothfalle, nach den Plänen der Kriegspartei von 1811, den Verzweif-
lungskampf allein fortsetzen könne. Auf Gneisenau's Wunsch verfaßte
*) Vgl. Zeitschrift für Geschichte und Altertum Schlesiens 38, 362.