Reichenbacher Vertrag vom 27. Juni. 467
lichkeit für seine Tochter in Paris beirrten freilich den Hartherzigen nicht,
dem die Diplomaten nachrühmten, er habe ganz politische Eingeweide.
Aber wozu ein wagnißvoller Krieg, wenn man im Frieden die Ueberlegen—
heit Frankreichs ein wenig einschränken und eine glänzende Stellung an
der Seite des mächtigen Schwiegersohnes erlangen konnte? Auch unter
den Staatsmännern war die Friedenspartei noch stark vertreten. Ihr
eifrigster Wortführer war der jetzt ganz in blasirte Stumpfheit versunkene
Gentz; als nachher die Kriegspartei siegte, behauptete er freilich mit er—
staunlicher Dreistigkeit, daß er selber den rettenden Entschluß herbeigeführt
hätte. Noch am 24. Juni schrieb er vertraulich an Karadja: die Hofburg
hege die Ueberzeugung, daß die Mittel zur Niederwerfung der französischen
Uebermacht noch nicht reif seien; er fand es sonderbar, daß die Alliirten,
während sie Oesterreich zur Friedensvermittlung aufforderten, gleichzeitig
mit England ein Kriegsbündniß schlössen. Metternich sah diesmal weiter
als sein Kaiser. Er ahnte, daß Oesterreich selber in Preußens Nieder—
lage mit verwickelt werden mußte, wenn dieser Staat den Kampf bis zur
Vernichtung fortführte; auch die dämonischen Mächte der Revolution im
preußischen Heere konnten nur dann niedergehalten werden, wenn Kaiser
Franz in die Coalition eintrat. Aber noch hatte er einen festen Entschluß
nicht gefaßt, seine angeborene Vorliebe für krumme Wege noch nicht über—
wunden. Am 30. Mai gestand er seinem Vertrauten, dem Hannoveraner
Hardenberg: ein dauernder Friede sei für jetzt doch unmöglich; genug
wenn man diesmal zu einem vorläufigen Frieden gelange, der den drei
Ostmächten die Operationsbasis von der Ostsee bis zur Adria verschaffe
und ihnen für die Zukunft einen entscheidenden Krieg ermögliche.
In diesem Sinne waren auch die Friedensvorschläge gehalten, welche
der Mediator den Verbündeten vorlegte; sie zeigten unzweideutig, daß die
Hofburg von kriegerischen Entschlüssen noch weit entfernt, daß ihre bis-
herigen Verhandlungen mit Napoleon keineswegs eine Komödie gewesen
waren. Oesterreichs Wünsche beschränkten sich auf vier Punkte: Aufhebung
des Herzogthums Warschau, das unter die Ostmächte vertheilt werden
sollte; Verstärkung des preußischen Staates durch diese Theilung, durch
die Rückgabe von Danzig und durch die Räumung der Festungen; Rück-
fall der illyrischen Provinzen an Oesterreich; dazu die Wiederherstellung
von Hamburg und Lübeck und für den unwahrscheinlichen Fall, daß Eng-
land sich zu einem allgemeinen Frieden bereit fände, auch noch die Heraus-
gabe der deutschen Nordseeküste. Alle Herzenswünsche der Hofburg kamen
in diesem Programme an den Tag. Mit Illyrien erhielt Oesterreich seine
adriatische Machtstellung wieder; durch die Auflösung von Warschau ver-
schwand jener Herd polnischer Verschwörungen, welchen Metternich immer
als hochgefährlich für die drei Ostmächte angesehen hatte; Preußen aber
empfing durch die neue Theilung Polens grade jene Provinzen zurück,
an denen dem Könige wenig lag, wurde kaum wieder eine Macht zweiten
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