44 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Getrümmer aus jenen alten Zeiten, da der deutsche Norden noch in kleine
Territorien zerfiel. Sie waren die Eierschale, die der junge Aar noch auf
seinem Kopfe trug; sie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone,
Beamtenthum und Heer seine Gegenwart. Sie vertraten den Particu-
larismus und das ständische Privilegium gegen die Staatseinheit und das
gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der
monarchischen Gesetzgebung zuweilen zu erschweren, nicht mehr um ihn
gänzlich aufzuhalten. Den Landtagsausschüssen blieb die Vertheilung
einiger Steuern und die Verwaltung des landschaftlichen Schuldenwesens;
auf diesem engen Gebiete bestanden der Nepotismus, der Schlendrian und
das leere Formelwesen des altständischen Staates noch ungebrochen, und
der märkische Edelmann nannte sein Brandenburg noch gern einen selb-
ständigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altständische Land-
rathsamt ward nicht aufgehoben, sondern behutsam in die Ordnung des
monarchischen Beamtenthums eingefügt; der Landrath, auf Vorschlag der
Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterschaft
und königlicher Beamter, der Kriegs= und Domänenkammer untergeben.
Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen
Uebermuth seiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um
die neue Heeresverfassung aufrecht zu halten, suchte die Murrenden durch
Ehren und Würden zu beschwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil
der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter
der Aufsicht der königlichen Beamten.
Nur diese kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung seiner
großen wirthschaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen-
thümliche System monarchischer Organisation der Arbeit, das während
zweier Menschenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den
neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz
und jedem Stande wies die Krone gewisse Zweige volkswirthschaftlicher
und politischer Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der
gesammten Monarchie, sollten in der Kurmark und den westphälischen
Provinzen die Manufacturen, in den Küstenländern der Handel, im
Magdeburgischen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte
allein der große Grundbesitz und ein nahezu ausschließlicher Anspruch auf
die Offiziersstellen, dem Bauernstande die ländliche Kleinwirthschaft und
der Soldatendienst, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem
entsprechend, hohe Steuerlast.
Diese Rechte der Stände und Landschaften vor jedem Eingriff zu
sichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und sie war nirgends
so schwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Colonistenboden, wo die
Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen
Frieden bedrohlich wurde. Die menschlichste der Königspflichten, die
Beschützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein