Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

44 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
Getrümmer aus jenen alten Zeiten, da der deutsche Norden noch in kleine 
Territorien zerfiel. Sie waren die Eierschale, die der junge Aar noch auf 
seinem Kopfe trug; sie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, 
Beamtenthum und Heer seine Gegenwart. Sie vertraten den Particu- 
larismus und das ständische Privilegium gegen die Staatseinheit und das 
gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der 
monarchischen Gesetzgebung zuweilen zu erschweren, nicht mehr um ihn 
gänzlich aufzuhalten. Den Landtagsausschüssen blieb die Vertheilung 
einiger Steuern und die Verwaltung des landschaftlichen Schuldenwesens; 
auf diesem engen Gebiete bestanden der Nepotismus, der Schlendrian und 
das leere Formelwesen des altständischen Staates noch ungebrochen, und 
der märkische Edelmann nannte sein Brandenburg noch gern einen selb- 
ständigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altständische Land- 
rathsamt ward nicht aufgehoben, sondern behutsam in die Ordnung des 
monarchischen Beamtenthums eingefügt; der Landrath, auf Vorschlag der 
Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterschaft 
und königlicher Beamter, der Kriegs= und Domänenkammer untergeben. 
Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen 
Uebermuth seiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um 
die neue Heeresverfassung aufrecht zu halten, suchte die Murrenden durch 
Ehren und Würden zu beschwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil 
der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter 
der Aufsicht der königlichen Beamten. 
Nur diese kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung seiner 
großen wirthschaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen- 
thümliche System monarchischer Organisation der Arbeit, das während 
zweier Menschenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den 
neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz 
und jedem Stande wies die Krone gewisse Zweige volkswirthschaftlicher 
und politischer Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der 
gesammten Monarchie, sollten in der Kurmark und den westphälischen 
Provinzen die Manufacturen, in den Küstenländern der Handel, im 
Magdeburgischen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte 
allein der große Grundbesitz und ein nahezu ausschließlicher Anspruch auf 
die Offiziersstellen, dem Bauernstande die ländliche Kleinwirthschaft und 
der Soldatendienst, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem 
entsprechend, hohe Steuerlast. 
Diese Rechte der Stände und Landschaften vor jedem Eingriff zu 
sichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und sie war nirgends 
so schwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Colonistenboden, wo die 
Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen 
Frieden bedrohlich wurde. Die menschlichste der Königspflichten, die 
Beschützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein
	        
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