Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Schlacht vor Paris. 555 
ihm Luft machten. Die Garde erstürmte unter Oberst Alvensleben die 
Batterien bei Pantin, während die Russen den Bergkirchhof Pere La 
Chaise mit der blanken Waffe nahmen. Weit später ward das Gefecht 
auf dem rechten Flügel der Franzosen eröffnet; der Kronprinz von Würt- 
temberg setzte sich im Walde von Vincennes fest, behauptete sich dort und 
drang am Nachmittage bis an das Ufer des Flusses vor. Auch die schle- 
sische Armee gelangte erst kurz vor Mittag zum Kampfe gegen den linken 
Flügel des Feindes. Wer hätte dem kranken Blücher verbieten dürfen, 
an solchem Ehrentage dem Sturme der Deutschen auf den „Sankt Märten“ 
beizuwohnen? Die entzündeten Augen mit einem Damenhut und Schleier 
bedeckt hielt er mitten im Getümmel und sah mit an, wie seine vielge- 
prüften Schlesier noch einmal, wie einst bei Möckern, unter dem Kreuz- 
feuer der feindlichen Batterien kämpften. Am Nachmittage war die ganze 
Linie der Verbündeten im siegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere 
hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erstürmten Kleist's 
Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen 
neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzosen drangen 
Langeron's Russen an den steilen Abhängen der Steinbrüche des Mont- 
martre empor bis hinauf zu den staffelförmig aufgestellten Batterien. Da 
sprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht 
war beendet, Paris hatte capitulirt. 
Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und 
betrachteten schweigend die bezwungene Stadt; die stumpfen Thürme von 
Notre Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch 
Oberst Below trabte herauf mit seinen Litthauern; er mußte doch halten 
was er in Tilsit versprochen und seinen Jungen die Hauptstadt des Fein- 
des zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, seit unser Kaiser 
Otto II. auf diesen Hügeln seine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt 
da drunten durch die Hallelujahrufe seiner Streiter schreckte; seitdem waren 
Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutscher Lands- 
knechte bis in das Herz der französischen Macht eingedrungen, doch nie- 
mals wieder ein deutsches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück- 
liche Deutschland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieser bösesten 
aller Nachbarn mißhandelt worden, also daß schon der große Kurfürst 
zu der Einsicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die 
Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen. 
Nun lag Jas neue Rom gebändigt, eine unabsehbare Zukunft voll fried- 
lichen Völkerglücks schien sich aufzuthun vor den entzückten Blicken der 
kampfesmüden Welt. Die Deutschen glaubten das Unrecht zweier Jahr- 
hunderte gesühnt, als am nächsten Tage der Czar, der König und Schwar- 
zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Eintritt hielten durch 
das Martinsthor, das noch an König Ludwig's deutsche Eroberungsfahrten 
erinnerte; darauf ging der Zug unter dem rasenden Jubel der dichtge-
	        
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