Die Alliirten in Paris. 557
Ueberall Verwünschungen gegen den Tyrannen, donnernde Jubelrufe für
die Befreier. Die französische Eitelkeit ließ sich's nicht nehmen, daß die
weiße Armbinde, welche die buntscheckigen Kriegsvölker des alten Europas
als Erkennungszeichen trugen, eine Huldigung sei für Frankreichs Könige;
die Alliirten erschienen den Erregten wie ein royalistisches Kreuzfahrer—
heer, das im Namen und Auftrag der französischen Nation das Urtheil
an dem Tyrannen vollstreckte. Den König von Preußen begrüßte im
Theater das Lied: Vive Guillaume et ses guerriers vaillams. de ce
royaume il sauve les enfants! Der schlichte Friedrich Wilhelm war,
wie Frau von Staêl sagt, ganz erstaunt, daß es diesen Leuten so viel
Vergnügen machte, besiegt zu sein. In seinem Heere ward der alte Na-
tionalhaß durch den Anblick solcher Untreue nur verschärft. Mit tiefer
Geringschätzung sprachen alle Norddeutschen von dieser herzlosesten aller
Nationen. Für die unverwüstliche elastische Lebenskraft, die in dem beweg-
lichen französischen Charakter liegt, hatten sie kein Auge. Ein ruhiges Ver-
hältniß gegenseitiger Achtung stellte sich nicht her, zum Unheil für beide
Nationen. Jene ganze Generation preußischer Staatsmänner und Generale
hielt immer die Ueberzeugung fest, daß eine letzte Abrechnung mit Frank-
reich noch bevorstehe; Gneisenau und Stein haben bis zu ihrem Todes-
tage in solcher Ahnung gelebt.
Indessen genossen die Sieger mit vollen Zügen die Freuden des
üppigen, hauptstädtischen Lebens. Den Parisern brachte die Eroberung
durchaus kein Ungemach, da die Allürten aus zärtlicher Schonung gegen
die Gefühle der Besiegten ihre Truppen längere Zeit auf den Plätzen
bivouakieren ließen, sondern nur Gelegenheit zu leichtem Gewinne. Viele
reiche englische Familien eilten an die Seine zu den lang entbehrten Ge-
nüssen der Stadt des Vergnügens. Das Gold floß in Strömen. Die
Cafehäuser in den Galerien des Palais Royal und die Spielhöllen an
den Boulevards freuten sich der glänzenden Geschäfte und der guten
Kundschaft des preußischen Feldmarschalls, der nach vollbrachter Kriegs-
arbeit das Blüchern nicht mehr lassen konnte; allabendlich saß er stunden-
lang mit Frack und Ordensstern über den geliebten Karten, mit kalt-
blütiger Ruhe seine Goldrollen setzend, am grünen Tisch ebenso kühn und
glücklich wie im Kriege. Ganz unbegreiflich blieb den an die Roheit der
Conscribirten gewöhnten Franzosen der Charakter des preußischen Volks-
heeres. Sie schüttelten den Kopf, wenn die preußischen Freiwilligen, fast
so eifrig wie ihr Kronprinz, zu den Kunstschätzen des Louvre wallfahrteten.
Kein Murillo und kein Rafael zog diese teutonische Jugend so unwider-
stehlich an wie Memling's Weltgericht mit der fürchterlich ernsten Gestalt
des richtenden Erzengels — jenes „Danziger Bild“, das Napoleon aus
der Marienkirche geraubt hatte; hier standen die jungen Deutschen immer
dicht gedrängt, als ob sie sich mitten in der wälschen Herrlichkeit ihres
heimischen Wesens recht bewußt werden wollten. Für das stille Gefühl