Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Sturz Napoleon's. 559 
mehr jedes Zwecks entbehrte, und unterzeichnete am 11. April seine Abdan— 
kung. Vergeblich rieth Hardenberg den Monarchen, den gefährlichen Mann 
in ein entlegenes Exil zu verweisen, vergeblich empfahl das preußische Cabi- 
net noch mehrmals während der folgenden Monate die Insel St. Helena 
als den bestgeeigneten Verbannungsort. Kaiser Franz war nicht gesonnen 
den Schwiegersohn gänzlich in's Verderben zu stürzen, obgleich er unbe- 
denklich seine Tochter von dem Gestürzten trennte; die Briten rechneten 
auf die Wachsamkeit ihrer Mittelmeerflotte. Den Ausschlag gab, daß Czar 
Alexander seinen Edelsinn zeigen wollte. Also wurde der unbegreiflich 
thörichte Beschluß gefaßt, diesen gewaltigen Menschen mit seinem rastlosen 
Ehrgeiz auf die Insel Elba zu senden. Dort sollte er friedlich hausen, 
inmitten der aufgeregten Nationen Frankreichs und Italiens, denen er 
beiden gleich nahe stand — der Titane, der eben jetzt zu seinem Augereau 
sagte: Asien bedarf eines Mannes! Man ließ ihm Würde und Rechte 
eines souveränen Fürsten, also auch das Recht der Kriegführung, und 
wähnte seine Laufbahn beendet, zumal da er auf der Reise durch die roya- 
listischen Striche Südfrankreichs nur mit Noth der Wuth des Pöbels entging. 
Alexander hoffte nun, seinen neuen liberalen Grundsätzen gemäß, 
durch einen Beschluß der französischen Nation die Bourbonen zurückzu- 
rufen und sie sogleich auf eine Verfassung zu verpflichten. Der Prä- 
tendent dachte anders, desgleichen sein Bruder Artois, der sogleich als 
Monsieur, Fils de France in Paris auftrat. Wer im Bourbonischen 
Hause hätte jemals bezweifelt, daß die Krone der Capetinger am Todes- 
tage des unglücklichen Knaben, den man Ludwig XVII. nannte, von 
Gottes Gnaden auf den Roy Louis XVIII. übergegangen war? Ludwig 
vergaß es dem Czaren nicht, daß dieser ihn einst aus Mitau ausgewiesen, 
trug geflissentlich seine Vorliebe für England, den Nebenbuhler Rußlands, 
zur Schau; hier ward ihm wohl bei dem hart reactionären Prinzregenten 
und seinen Hochtorys, die von dem göttlichen Rechte des französischen 
Königthums so fest überzeugt waren. Mit der Versicherung, daß er die 
Wiederherstellung seines Hauses nächst Gott diesem großen Reiche ver- 
danke, verließ er England an Bord einer britischen Flotte, trat in Frank- 
reich sofort als der rechtmäßige König auf, verkündete noch unterwegs, 
trotz der persönlichen Abmahnungen des Czaren, seinen Entschluß den ge- 
treuen Unterthanen kraft seines königlichen Rechtes eine Charte zu schenken, 
und langte am 3. Mai in Paris an. Wie er so in seine Hauptstadt 
einfuhr, der dicke gichtbrüchige Greis, auf dem Rücksitze die beiden noch 
älteren Herzöge von Condé und Bourbon, der Eine von ihnen fest ein- 
geschlafen, da fragten die verwundert zuschauenden preußischen Offiziere, 
ob dies Greisenregiment die Erbschaft eines Napoleon antreten solle. Und 
dann jenes sonderbare Gegenstück zu den majestätischen Siegesfesten des 
Soldatenkaisers, die Heerschau vor den Tuilerien: droben auf dem Altane 
der alte Herr in seinem Lehnstuhle, drunten die Truppen gehorsam ihr
	        
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