Deutschlands Forderungen. 561
bis zur Seine hatte die kühnsten Hoffnungen übertroffen. Mancher er—
klärte sich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordwesten wieder-
hergestellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corsen forderte
man fast allgemein, die Zeitungen sprachen viel von Harmodios und
Aristogeiton.
Nach Allem was geschehen, war eine Verschärfung der Friedensbe-
dingungen in der That fast unmöglich. Der Cezar hatte soeben noch,
beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die
alten Grenzen Frankreichs wiederherstellen wollten. Es ging kaum an,
diese so oft wiederholte Zusage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun-
deten Bourbonen härtere Zumuthungen zu stellen als dem Feinde Na-
poleon. Daher wagten die preußischen Diplomaten gar nicht einen förm-
lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elsaß-Lothringen zu stellen,
obgleich der Staatskanzler persönlich diesen Wunsch hegte und alle seine
Generale ihm eindringlich vorstellten, wie schwer die Sicherheit Süddeutsch-
lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil französischen Gebietes
von Landau bis Hüningen tief in unser Oberland hineinragte. Harden-
berg und sogar Stein begnügten sich den Rückfall von Straßburg und
Landau zu verlangen; denn diese Forderung durften sie stellen ohne den
früheren Versprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche
der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elsasses, 245 Ge-
meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Besitze deutscher Reichsstände
gewesen, freilich zum größten Theile unter französischer Oberhoheit. Ga-
ben die Deutschen diese alten Ansprüche auf, verzichteten sie auf den
Wiedergewinn der schönen Herrschaften Saarwerden, Lützelstein, Rappolt-
stein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, so waren sie sicherlich
berechtigt, zur Entschädigung die beiden gefährlichen Hauptfestungen des
Oberrheins zu fordern. Aber einstimmig traten die drei verbündeten
Mächte dieser bescheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand
betheuerte salbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger
Kriege sei — eine große starke Nation nicht zu entehren, und fand nur
zu schnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Castlereagh.
Schon am 23. April wurde mit Monsieur ein vorläufiger Vertrag
abgeschlossen, kraft dessen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche
am 1. Januar 1792 französisch gewesen, sofort an die französischen Be-
hörden zurückgegeben werden sollte; auch die Entfernung der verbündeten
Heere aus diesen Landstrichen wurde zugesagt, sobald Frankreich die noch
in Italien und Deutschland besetzten Festungen geräumt habe. Stein
machte den Staatskanzler darauf aufmerksam, durch diesen Vertrag seien
keineswegs ganz Elsaß-Lothringen und Burgund der französischen Ver-
waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingesprengte alt-
deutsche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er sogleich, daß
im Moseldepartement alle die Ortschaften, die erst im Jahre 1793 erobert
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 36