48 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
märkischen Schulstube von seinen Füßen geschüttelt und an den Gemälden
der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken schwelgte, da sandte er noch,
unbefangen wie ein großer Heide, seine Flüche der Heimath zu: „Ich
gedenke mit Schaudern an dieses Land; auf ihm drückt der größte Des-
potismus, der je gedacht ist. Besser ein beschnittener Türke werden als
ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine sehr ideale Bezeichnung
des Regiments des Corporalstocksl) können die Künste nicht gedeihen und
müssen gepflanzt ausarten.“ So weit strebten jene schöpferischen Kräfte
noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutschland
gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünschten den König
von Preußen wegen der Landplage seiner Werbungen. Wachse nicht,
dich fangen die Werber! rief die schwäbische Mutter ängstlich ihrem
Sohne zu. Jedermann am Rheine wußte hundert unheimliche Geschichten
aus dem Wirthshause zu Frankfurt, wo die preußischen Werbeoffiziere ihr
Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Gesellen nicht
zutraute.
Und all diese List und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskosten,
welche volle vier Fünftel der preußischen Staatseinnahmen verschlangen,
dienten, so meinte man im Reiche, doch nur der zwecklosen Soldaten-
spielerei eines närrischen Tyrannen. Ein Menschenalter war verflossen
seit jenem Heldenkampfe von Cassano, da das Blut der märkischen Grena-
diere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die
tapferen Prussiani zum ersten male mit den rauschenden Klängen des
Dessauer Marsches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weise
jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erkllang, so lachten die Deutschen über
den „preußischen Wind“. Friedrich Wilhelm's Regierung fiel in die
armselig ideenlose Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künste der
Fleury, Alberoni, Walpole beherrschten die europäische Politik. Rathlos
stand der gradsinnige Fürst in dem durchtriebenen Ränkespiel der Diplo-
matie. Er hielt in altdeutscher Treue zu seinem Kaiser, wollte seinen
Kindern Säbel und Pistolen in die Wiege legen um die fremden Nationen
vom Reichsboden zu schmeißen; wie oft hat er mit dem vaterländischen
Bierkrug in der Hand sein schallendes Vivat Germania teutscher Nation!
gerufen. Nun mußte der Arglose erleben, wie die Wiener Hofburg mit
seinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachsen insgeheim
die Zerstückelung Preußens verabredete, wie sie dann den Albertinern
zur polnischen Krone verhalf, Lothringen den Franzosen preisgab und
in seinem eigenen Hause den Unfrieden schürte zwischen Vater und
Sohn, wie sie ihm endlich sein gutes Erbrecht auf Berg und Ostfries-
land treulos zu entwinden suchte. So ward er sein Leben lang hin und
her gestoßen zwischen Gegnern und falschen Freunden; erst am Ende
seiner Tage hat er Oesterreichs Arglist durchschaut und seinen Sohn er-
mahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging