Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

584 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
des Wiener Hofes — ein merkwürdiges Schriftstück, das mit überraschen- 
der Klarheit beweist, wie gröblich selbst ein großer Kopf von entschiedener 
politischer Begabung die diplomatischen Verhältnisse des Augenblicks ver- 
kennen kann, wenn er die kleinen Pflichten des Gesandten verschmäht.“) 
Von Oesterreichs inneren Verhältnissen, von der verderbten Verwaltung, 
dem zerrütteten Staatshaushalte und der steigenden Unzufriedenheit der 
Italiener gab der geistvolle Mann eine meisterhafte Schilderung. Ueber 
die nächsten Zwecke der Hofburg dagegen hatte er sich durch Metternich's 
glatte Zunge völlig täuschen lassen. Hinsichtlich der polnischen Händel 
sagte er zuversichtlich: Metternich sei fest überzeugt, daß Czar Alexander 
vor dem einmüthigen Widerspruch Englands, Oesterreichs und Preußens 
zurückweichen würde, da die Russen wie die Polen selbst den Plänen des 
Czaren widerstrebten. England und Oesterreich sind entschlossen, mit 
friedlichen Waffen gegen Rußland aufzutreten; um dies Einverständniß 
zu vollenden ist soeben General Nugent nach London geschickt worden, 
derselbe Diplomat, der schon im Jahre 1810 die Annäherung der beiden 
Höfe bewirkt hatte. Uebrigens will Oesterreich sein Heer verstärken und 
„eine imposante Haltung“ annehmen. Nach Humboldt's Ansicht muß 
auch Preußen sich diesen Bestrebungen anschließen; denn schon die Ver- 
einigung Polens mit Rußland ist gefährlich, noch weit verderblicher aber 
die Wiederherstellung der polnischen Krone, gleichviel unter welchem Namen. 
In der sächsischen Sache haben wir von Oesterreich nichts zu fürchten. 
Zwar lärmt die Militärpartei, an ihrer Spitze General Radetzky, wegen 
der Preisgebung der Pässe des Erzgebirges; einige andere Personen for- 
dern, daß Oesterreich selbst sich in Sachsen vergrößern soll. „Aber der 
Fürst Metternich, dessen Rath sicher allein von dem Kaiser befolgt werden 
wird, betrachtet diese Sache von dem richtigen Gesichtspunkte“ und wünscht 
uns die nothwendige Abrundung in Deutschland. Da die einfache Ent- 
thronung des gefangenen Albertiners den legitimistischen Anschauungen der 
Zeit unfaßbar war, so hatte der Staatskanzler durch Humboldt vorschlagen 
lassen, Friedrich August solle durch die Legationen entschädigt werden. 
In Deutschland konnte das seiner Erblande beraubte sächsische Haus nur 
Unfrieden stiften; als König der Romagna hätte Friedrich August die 
Rolle eines ergebenen k. k. Vasallen sicher ebenso glücklich gespielt wie 
seine Vettern in Florenz und Modena. Metternich aber, so erzählte Hum- 
boldt arglos, fand bei dem Vorschlage „die größten Schwierigkeiten“. 
Nicht als ob Oesterreich die Legationen für sich selber wünschte; vielmehr 
würde Kaiser Franz sehr gern seinen Verwandten dort im Süden ver- 
sorgen. Aber der Papst wird die Abtretung niemals zugeben und der 
bigotte König, aus Furcht vor dem Kirchenbanne, sie niemals annehmen. 
Humboldt ahnte also gar nichts weder von dem geheimen Verkehre zwischen 
  
*) Humboldt's Bericht an den König, Wien, 20. August 1814.
	        
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