606 II. 1. Der Wiener Congreß.
von unsauberer Vergangenheit, die er jederzeit mit einem Fußtritt ent—
lassen konnte. Trotz Alledem und trotz dem bösen Blicke seiner kalten
harten Augen, trotz der so nahe liegenden Erinnerung an seinen Familien—
und Geistesverwandten Philipp II. von Spanien glaubte alle Welt an
die kindliche Unschuld des herzlosen, mißtrauischen Despoten. Sein poli—
tisches System war das denkbar einfachste. Nach allen den Plagen und
Sorgen dieser wüsten Jahre wollte er endlich wieder seine Ruhe haben,
wollte wieder als ein fleißiger Hofrath Stöße von Acten mit nichtssagen—
den Randbemerkungen bemalen, in Mußestunden die Geige spielen, Papier
ausschneiden, Vogelbauer lackiren und was sonst der k. k. Ausschweifungen
mehr war. Geistlos und denkfaul, wie die Mehrzahl seiner Ahnen, völlig
unfähig einen neuen politischen Gedanken auch nur zu verstehen, sah er
in allen den revolutionären und nationalen Ideen, welche das neue Jahr—
hundert bewegten, nichts als Bosheit und Dummheit, nichts als sträfliche
Auflehnung gegen das fromme Erzhaus. Mit dieser Gedankenarmuth
verband sich aber eine durchtriebene Bauernschlauheit, ein gewisser roher
Instinct für das politisch Erreichbare: der Kaiser fühlte sehr richtig, daß
sein Haus nahezu Alles was sich nur wünschen ließ bereits erlangt und
jede Aenderung in der Staatengesellschaft als eine Gefahr zu fürchten hatte.
So ward er aus Neigung, Grundsatz und Berechnung ein geschworener
Feind jeder, aber auch jeder Neuerung, ein argwöhnischer Gegner der
beiden ehrgeizigen Nachbarmächte, Rußlands und vornehmlich Preußens.
Wenn es dem guten Kaiser nicht leicht fiel aus seinen prunklosen
Alltagsgewohnheiten hinauszutreten in die prächtige Gesellschaft des Con-
gresses, so schwamm sein vielgewandter Metternich vergnüglich wie ein
Fischlein in dem glänzenden Strudel. So wohl war es ihm nie mehr
geworden seit jenen lockeren Jugendtagen, da er an den leichtlebigen geist-
lichen Höfen der rheinischen Heimath seine Schule durchgemacht hatte.
Niemand verstand wie er, in der Pause zwischen Diner und Maskenball
eine diplomatische Intrigue einzufädeln, vor der Fahrt zum Stelldichein
noch rasch eine Depesche abzuthun oder mit dem Ausdrucke wärmster
Zärtlichkeit in den schönen blauen Augen einen Herzensfreund recht gründ-
lich anzulügen. Auch sah er keineswegs ungern, wenn seine preußischen
Freunde ihn für leichtfertiger hielten als er war und für Vergeßlichkeit und
Nachlässigkeit nahmen was aus böser Absicht hervorging. Denn wie er in
seinem Hause bei allem Aufwande immer ein umsichtiger Wirth blieb, hab-
süchtig, genau bis zum Geize, so hielt er auch mitten im Gewirr der ge-
selligen Zerstreuungen seine politischen Pläne mit zäher Ausdauer fest. Er
sah in diesem großen Fürstentage auf österreichischem Boden einen glän-
zenden Triumph der habsburg--lothringischen Staatskunst, betrachtete die
Beschlüsse der erlauchten Versammlung wie sein eigenes Werk und dachte
durch sie der Bewegung des Völkerlebens ein= für allemal eine feste
Schranke zu setzen. Gleich seinem Kaiser sah er ein, daß sein Oesterreich