Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Der österreichische Hof. 607 
nur noch eine conservative Politik verfolgen konnte, und wollte wie jener 
die revolutionären Ideen der Völker durch eine scharfe polizeiliche Aufsicht 
bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufstrebenden jungen Ostmächte unter 
dem Scheine zärtlicher Freundschaft zügeln. Daher das feste Bündniß 
mit den gleichgesinnten englisch-hannoverschen Torys und das bereits 
vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourbonischen Hofe. Der natio— 
nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundstaaten 
schon einen Riegel vorgeschoben; jetzt galt es zunächst durch die Errettung 
Sachsens die kleinen Kronen noch fester an das Haus Oesterreich anzu— 
schließen und sodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen sicher zu stellen. 
Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oesterreich einst emporgekommen 
und in Wahrheit erst zu einem Staate geworden; der gedankenlosen 
Ruheseligkeit dieser neuen Staatsweisheit erschien umgekehrt die Erhaltung 
der letzten Trümmer der Osmanenherrschaft als eine heilige Aufgabe. Für 
den himmelschreienden Jammer der serbischen und griechischen Rajah hatte 
man in der Hofburg nur noch ein frivoles Lächeln. Ein Gefühl innerer 
Wahlverwandtschaft verband dies neue Oesterreich, das sich in seinen 
italienischen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht erhalten konnte, 
mit der hohen Pforte. Schon seit Anfang 1813 hatte Gentz mit dem 
Hospodaren der Wallachei, Janko Karadja, einen regelmäßigen vertrauten 
Briefwechsel eröffnet, der den Divan, „unseren treuesten Alliirten“, über 
die Lage der Welt und die Absichten des Wiener Hofes genau unterrichten 
sollte. Vergeblich war Metternich seit dem Herbst des nämlichen Jahres 
bemüht gewesen, den Czaren dahin zu überreden, daß der Sultan mit 
in die europäische Fürstenfamilie aufgenommen, sein Besitzstand durch alle 
Mächte insgesammt feierlich verbürgt werden sollte. 
Diese Lücke in dem großen Systeme der Stabilitätspolitik mußte jetzt 
noch ausgefüllt werden. Gelang dies und wurden auch die polnischen 
Pläne Alexander's vereitelt, so war nach Metternich's Meinung das Werk 
des Congresses auf unabsehbare Zeiten hinaus sichergestellt. So spiegelte 
sich in diesem Kopfe die Welt. Genuß und Ruhe war ihm das höchste 
Ziel der Politik, und nur die Furcht vor einer Ruhestörung vermochte ihm 
einen tapferen Entschluß zu entreißen. Ewige Zersplitterung Deutschlands, 
also daß die souveränen Kleinkönige freiwillig bei Oesterreich Schutz suchten 
gegen Preußen und „den höchstgefährlichen Gedanken der deutschen Einheit“ 
ewige Ohnmacht Italiens, das, wie Lord Castlereagh den klagenden Pie- 
montesen trocken erwiderte, um der Ruhe Europas willen immer getheilt 
bleiben mußte und in den Augen der Hofburg nur ein geographischer 
Name war; Frankreich bewacht durch eine Reihe friedfertiger Mittelstaaten, 
die vom Texel bis zum ligurischen Meere hin den gefährlichen Staat um- 
geben und von jeder Berührung mit den Großmächten absperren sollten; 
Rußland im Zaume gehalten durch das gesammte Europa, das die Türken 
unter seinen Schutz nahm; die Revolution zerschmettert durch den vereinten
	        
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