Talleyrand und das Comite der Vier. 621
So stand man denn rathlos, Zwei gegen Zwei, und einigte sich endlich
(23. September) über einen unglücklichen Mittelweg. Man beschloß: die
deutschen Verfassungssachen werden von einem Ausschuß der fünf deut-
schen Königshöfe, alle europäischen Angelegenheiten von den vier verbün-
deten Großmächten und den beiden bourbonischen Mächten (Frankreich
und Spanien) bearbeitet; jedoch blieb der Plan der Gebietsvertheilung,
nach der Pariser Abrede, zunächst den vier Mächten vorbehalten, diese
sollten dann ihre Vereinbarungen an Frankreich und Spanien mittheilen
und zuletzt auch die kleinen Höfe zur Aeußerung auffordern.
Offenbar gewährte dies Compromiß den Franzosen die Handhabe
alles bisher Beschlossene wieder umzuwerfen, und der mittlerweile einge-
troffene Talleyrand säumte nicht, den Fehler zu benutzen. Als der fran-
zösische Minister und sein ergebener Freund Don Labrador, der Gesandte
der spanischen Bourbonen, am 30. September in das Comité der Vier
geladen wurden um den Beschluß der vier Mächte entgegenzunehmen, da
feierte Talleyrand's eiserne Stirn einen glänzenden Triumph. Mit un-
vergleichlicher Dreistigkeit, als sei der geheime Artikel des Pariser Friedens
gar nicht vorhanden, forderte der Franzose die Theilnahme aller Staaten
an allen Verhandlungen des Congresses, brachte die Minister der vier
Mächte durch tönende Phrasen von der Heiligkeit des öffentlichen Rechtes
dermaßen in Verwirrung, daß die Sitzung ohne Ergebniß aufgehoben
wurde. Keiner der anderen Gesandten besaß Geistesgegenwart genug, um
durch eine kühle Berufung auf den Pariser Frieden die vertragswidrige
Anmaßung des Franzosen schon an der Schwelle abzuweisen. Hardenberg
konnte schon wegen seiner unglücklichen Taubheit bei solchen unerwarteten
Ueberfällen nicht leicht das rechte Wort finden. Humboldt aber und der
russische Bevollmächtigte sind auf eine so freche Verhöhnung der kaum
erst unterzeichneten Verträge offenbar nicht gefaßt gewesen. Castlereagh
und Metternich endlich hatten bereits selber, durch ihre geheimen Ver-
handlungen mit dem Tuilerienhofe, den Pariser Frieden gebrochen. In
einem theatralisch gefärbten Berichte, der Wort für Wort darauf berechnet
war die Ueberlegenheit seines Verfassers in helles Licht zu rücken, meldete
Talleyrand seinem Könige den erfochtenen Sieg; zu seinen rheinbündischen
Freunden aber sagte er stolz: jai Su nr’asseoir.
Einen durchschlagenden Erfolg errang der Franzose vorerst noch nicht.
Er beantragte in den folgenden Sitzungen: alle Souveräne, die nicht
förmlich abgedankt, also auch Friedrich August von Sachsen sollten zum
Congresse zugelassen und sodann durch die Gesammtheit der Staaten eine
Reihe von Ausschüssen eingesetzt werden. Beide Anträge fielen; sie be-
kundeten doch gar zu deutlich die Absicht, dem französischen Hofe als dem
Gönner der Kleinstaaten die Führung des Congresses zu verschaffen.
Endlich ward beschlossen, aus den acht Mächten, welche den Pariser
Frieden unterzeichnet, ein leitendes Comité zu bilden. Dieser Ausschuß