Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Verträge über Polen. 663 
schon theilweise germanisirten Posen ganz anders stand als Oesterreich zu 
dem polnisch-ruthenischen Galizien oder Rußland zu der Hauptmasse der 
alten Adelsrepublik? Wollten die Ostmächte diese neue unberufene An— 
maßung Englands nach Gebühr abfertigen, so mußten sie das Cabinet 
von St. James verbindlich ersuchen, zuvörderst die Iren als Iren zu be— 
handeln. Sie verschmähten jedoch weislich, einen neuen müßigen Streit 
zu erregen und antworteten mit höflichen nichtssagenden Noten. Harden— 
berg erwiderte (30. Jan.): Preußen sei bereit dem Posener Lande eine den 
Gewohnheiten und dem Geiste der Einwohner entsprechende Verwaltung 
zu geben und zu zeigen, daß das nationale Dasein der Völker unter jeder 
Regierung unangetastet bleiben könne. Auf eine Beschränkung der eigenen 
Souveränität ließ er sich nicht ein. Es war für Oesterreich wie für 
Preußen gebieterische Pflicht, sich nicht die Hände zu binden, da Niemand 
den Verlauf der polnischen Experimente Alexander's berechnen konnte; auch 
der Czar selber wünschte nicht, in seinen völkerbeglückenden Plänen beauf— 
sichtigt zu werden. Daher enthielt weder die Schlußacte des Congresses 
noch der Vertrag der drei Theilungsmächte vom 3. Mai irgend ein Wort, 
das die Polen zu politischer Selbständigkeit berechtigte. Die drei Mächte 
versprachen lediglich: „ihre polnischen Unterthanen sollen Institutionen 
erhalten, welche die Bewahrung ihres Volksthums sichern, in Gemäßheit 
der Staatsformen, welche jede der betheiligten Regierungen ihnen zu ge— 
währen für gut finden wird.“ Dazu die Zusage freien, höchstens durch 
einen Zoll von 10 Procent beschwerten Handels mit den eigenen Erzeug— 
nissen der vormals polnischen Landestheile, freier Durchfuhr gegen mäßige 
Zölle und freier (d. h. unverbotener) Schifffahrt auf den polnischen 
Flüssen bis in die Seehäfen. Die Theilungsmächte waren mithin nur 
verpflichtet, Sprache und Sitte des Volkes zu schonen, desgleichen dem 
Handel einige geringfügige Begünstigungen zu gewähren; in allem Uebrigen 
behielten sie freie Hand. 
Gegen Mitte Februars waren die Gebietsverhandlungen zwischen den 
Großmächten nahezu beendigt. Talleyrand's Kriegslust hatte an dem tiefen 
Friedensbedürfniß der ermüdeten Zeit zuletzt doch einen unüberwindlichen 
Widerstand gefunden; in dem Comité der Fünf gewann er keinen ent- 
scheidenden Einfluß, und die kläffende Meute seiner rheinbündlerischen Ge- 
nossen wurde von den großen Mächten kurzweg zur Seite geschoben. Die 
deutsche Verfassung blieb freilich noch in tiefem Dunkel; doch da der 
Hofburg an der raschen Lösung dieser Frage wenig lag, so entwarf Gentz 
schon jetzt ein pomphaftes Manifest, das der bewundernden Welt verkünden 
sollte: „die große Arbeit des Congresses ist beendigt.“ Da kehrte Napo- 
leon von Elba zurück, das von Talleyrand so prahlerisch geschilderte 
Kartenhaus der bourbonischen Herrlichkeit stob vor dem Hauche des Im- 
perators in alle Winde. Der französische Minister, der soeben noch 
pathetisch versichert hatte, Millionen französischer Fäuste würden sich gegen
	        
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