678 II. 1. Der Wiener Congreß.
ein eigenthümliches Gemisch von Salbung und Bitterkeit. Nirgends er-
klang sie lauter als in den Spalten des Rheinischen Mercurs, der denn
auch schon im Sommer 1814 in den Rheinbundsstaaten des Südens ver-
boten ward. Mögen die Fürsten ernstlich bedenken, rief Görres drohend,
wie ihre Völker sie empfangen werden, wenn sie ein zerfetztes Vaterland
mit nach Haus bringen, dann bleibt uns nur noch die Wahl zwischen
Entwürdigung und Empörung! Das Bild der deutschen Verfassung, das
der Mehrzahl der Patrioten vorschwebte, entsprach etwa jenem Vorschlage
für das künftige Reichswappen, welchen der Rheinische Mercur veröffent-
lichte: „der Doppeladler den schwarzen Aar zärtlich umhalsend und der
bairische Löwe friedlich dazu gesellt!“ Wahrlich, es war nicht bloß trübe
Verstimmung, wenn Goethe sagte: der Schlaf sei zu tief gewesen, diese eine
Aufrüttelung würde nicht genügen.
So weit sich in dem Durcheinander guter Vorsätze und phantastischer
Wünsche ein greifbarer politischer Gedanke erkennen ließ, fand der Plan
der Wiederherstellung des habsburgischen Kaiserthums außerhalb der alten
preußischen Provinzen noch den meisten Anklang. Was wußte man auch
in den Kleinstaaten von der traurigen Rolle, welche das Haus Oesterreich
noch in dem jüngsten Kriege gespielt? Mancher wackere Mann sah zwischen
Schwarzenberg und Gneisenau, Gyulay und Bülow keinen wesentlichen
Unterschied. Der Rheinische Mercur bewunderte den „rührend wahren“
Charakter des Kaisers Franz: in dem sei kein Arg, keine Ader vom
Tyrannen; selbst Metternich ward wohl zuweilen schwacher Gutmüthigkeit
beschuldigt, an seiner deutschen Gesinnung zweifelte man nicht. Was schien
natürlicher als die Rückkehr zu den altheiligen Formen einer tausend-
jährigen Geschichte: nur ein Kaiser konnte das deutsche Dornröschen aus
dem Schlummer wecken. In Vers und Prosa fand der alte Kaisertraum
neuen Ausdruck:
Ach das Sehnen wird so laut:
Wollt Ihr keinen Kaiser küren?
Kommt kein Ritter heimzuführen
Deutschland die verlassne Braut?
Die Frage, ob denn die heillose Vereinigung deutscher und aus-
ländischer Interessen abermals beginnen sollte, ward mit einigen nach-
drücklichen patriotischen Vermahnungen abgethan. Görres befahl kurzab:
„deutsche Fürsten auf fremden Thronen müssen ihre deutschen Länder nie
in fremde Angelegenheiten mischen!“ Noch beweglicher redete Rückert dem
Adler Habsburgs in's Gewissen:
Nicht die fremde Pommeranze
Ist's, die Dir gehört zunächst:
Der Reichsapfel, der im Glanze
Hier an deutschen Eichen wächst!
Willst bei Apfel, Stab und Kronen
Nicht auf unsern Eichen wohnen?