Kaiserträume. 679
Der Naturforscher Oken, ein warmherziger Patriot von handfestem, kurz
angebundenem Radicalismus, erwies in der Jenenser Nemesis: mit der
Kaiserkrone seien alle anderen Forderungen der Nation von selbst er-
füllt, durch sie erlange Deutschland wieder den ersten Rang in Europa.
Der geistvolle Philolog F. G. Welcker führte noch zwei Jahre später in
den Kieler Blättern alle Gebrechen des Vaterlandes darauf zurück, „daß
dem verfallenen Deutschland kein Kaiser werden wollte.“ So lebendig
erhielt sich der Gedanke des Kaiserthums, doch wer vermochte ihn praktisch
zu gestalten? Die harte Thatsache des deutschen Dualismus machte den
Patrioten für die Zukunft geringe Sorgen: wenn die Lothringer, nach
einem Vorschlage des Rheinischen Mercurs, mit den Hohenzollern eine
Erbverbrüderung schlossen, so stellte sich ja die wirkliche Einheit über lang
oder kurz von selber her. Bis dahin mußte man dem preußischen Staate
allerdings eine gewisse Unabhängigkeit neben und unter der österreichischen
Kaiserkrone zugestehen. Ein Aufsatz im Mercur wollte den Kaiser Franz
an die Spitze eines zwiegetheilten Reichstags stellen, so daß Preußen das
norddeutsch-protestantische Collegium, Oesterreich das rheinisch-katholische
leitete. Der preußische Staat sollte die schaffende und treibende Kraft in
diesem Doppelreiche bilden; denn seit der Staat Friedrich's seine alte
Kraft wiedergewonnen hatte, gab man sich draußen im Reiche wieder, wie
im achtzehnten Jahrhundert, der behaglichen Ansicht hin, daß Preußen
von der gütigen Natur dazu bestimmt sei den anderen Deutschen die Last
und Arbeit der großen Politik dienstfertig abzunehmen. Den Oesterreichern
theilte Görres die angenehmere Aufgabe zu, „das innerlich wärmende
und nährende Element“ im deutschen Reiche zu bilden, dies entspreche
ihrem „Stammescharakter“. Aehnliche Ansichten vertrat der wohlmeinende
Hildburghausener Geheime Rath Schmid in seinem Buche „Deutschlands
Wiedergeburt“; er dachte sich die preußische Krone als den Reichsverweser
im Norden und zugleich als einen warnenden Rath und Volkstribunen
neben dem österreichischen Erbkaiser.
Auch was Arndt auf Stein's Veranlassung „über die künftige stän-
dische Verfassung“ schrieb, zeigt doch, daß der herrliche Mann über die
wesentlichen staatsrechtlichen Begriffe noch gar nicht nachgedacht hatte. Er
fordert einen Kaiser und einen aus den Landboten der Provinzen gebil-
deten Reichstag, ohne der Rechte der Fürsten auch nur zu gedenken; er
verlangt die alten Landstände zurück, allerdings nicht so unbedingt wie
der Coblenzer Romantiker, der die Dreizahl des Lehr-, Wehr= und Nähr-
standes feierte, sondern in etwas moderner Form, und diesen altständi-
schen Körperschaften sollen die Minister verantwortlich sein. Die wenigen
politischen Sätze der Schrift liegen vereinzelt wie die Muscheln am Strande
im dicken Sande moralischer, historischer, ethnographischer Betrachtungen.
Die gesammte Bildung der Zeit blieb noch durch und durch unpolitisch,
die Methode politischen Denkens, die Kunst sachlicher Erörterung besaßen