Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

688 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Montgelas dem preußischen Gesandten von Küster „seine äußerste Gleichgiltig- 
keit gegen den Deutschen Bund: warum sollten denn die deutschen Staaten 
nicht wie die italienischen ganz selbständig neben einander leben, ver- 
bunden nur durch gute Nachbarschaft und gegenseitige freie Convenienz?“) 
Nichts lag den preußischen Staatsmännern ferner als eine radicale 
unitarische Politik. Während in Stein's Augen der Einheitsstaat immer 
das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber- 
zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der 
Kleinstaaterei. Knesebeck führte in seiner doctrinären Weise wiederholt 
den Gedanken aus, Deutschland werde nur durch die Buntheit seiner 
politischen Zustände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte 
„dies Centrum als Palladium für die freie Association und Erhaltung 
des Gleichgewichts auch dadurch stempeln, daß es Beides auch in sich 
darstellen soll.“““) Aber wie bescheiden auch die Wünsche der Preußen 
waren, der frivole Hohn gegen Deutschland, welchen Wrede zur Schau 
trug, erregte doch ihren Zorn. Der Baier erklärte kurzab, sein König 
sei nicht gewillt, „sich der Ausübung irgend eines Regierungsrechtes, das 
der Souveränität anhängt, zu begeben,“ am allerwenigsten der Befug- 
niß, nach Belieben mit dem Auslande Bündnisse abzuschließen; denn an 
diesem Rechte finde der bairische Nationalstolz Gefallen; verzichte man 
darauf, so „verliere Baiern an Achtung und Würdigkeit bei den Aus- 
wärtigen". Für die fünf Kreisobersten verlangte er vollständige Parität, 
also ein jährlich wechselndes Directorium. Darum wünschte er auch mög- 
lichst wenige Provinzen Oesterreichs und Preußens in den Bund aufzu- 
nehmen; jedenfalls dürften die beiden Großmächte nur ebenso viel Truppen 
zum Bundesheere stellen wie Baiern. 
So enthüllte sich zum ersten male die Absicht der Mittelstaaten das 
deutsche Heer, aus Eifersucht gegen die Großmächte, zu schwächen — eine 
Politik des Neides, die selbst in der polnischen Geschichte kein Seitenstück 
fand und nach Jahren in der lächerlichen Kriegsverfassung des Deutschen 
Bundes ihre Absichten durchsetzen sollte. Noch frecher als die Baiern 
sprachen die württembergischen Bevollmächtigten; sie rührten durch ihre 
herausfordernden Reden den ganzen eklen Bodensatz der alten Rheinbunds- 
gesinnung wieder auf. Von Grundrechten der Nation wollten sie schon 
darum nichts hören, weil der Stuttgarter Hof das Dasein einer deutschen 
Nation nicht anerkannte. Eine schamlose Geschichtsverfälschung, die bereits 
in den Schulen der Rheinbundsstaaten ihr Gift zu säen begann, leugnete 
kurzerhand Alles ab was den Deutschen durch Jahrhunderte gemeinsam 
gewesen, ließ aus der gesammten Vorzeit unseres Volkes nichts gelten als 
die acht Jahre der napoleonischen Anarchie. „Der Zweck des Bundes,“ 
  
*) Küster's Bericht, München 28. August 1815. 
*“) Knesebeck's Denkschrift vom 7. Januar 1814.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.