688 II. 1. Der Wiener Congreß.
Montgelas dem preußischen Gesandten von Küster „seine äußerste Gleichgiltig-
keit gegen den Deutschen Bund: warum sollten denn die deutschen Staaten
nicht wie die italienischen ganz selbständig neben einander leben, ver-
bunden nur durch gute Nachbarschaft und gegenseitige freie Convenienz?“)
Nichts lag den preußischen Staatsmännern ferner als eine radicale
unitarische Politik. Während in Stein's Augen der Einheitsstaat immer
das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber-
zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der
Kleinstaaterei. Knesebeck führte in seiner doctrinären Weise wiederholt
den Gedanken aus, Deutschland werde nur durch die Buntheit seiner
politischen Zustände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte
„dies Centrum als Palladium für die freie Association und Erhaltung
des Gleichgewichts auch dadurch stempeln, daß es Beides auch in sich
darstellen soll.“““) Aber wie bescheiden auch die Wünsche der Preußen
waren, der frivole Hohn gegen Deutschland, welchen Wrede zur Schau
trug, erregte doch ihren Zorn. Der Baier erklärte kurzab, sein König
sei nicht gewillt, „sich der Ausübung irgend eines Regierungsrechtes, das
der Souveränität anhängt, zu begeben,“ am allerwenigsten der Befug-
niß, nach Belieben mit dem Auslande Bündnisse abzuschließen; denn an
diesem Rechte finde der bairische Nationalstolz Gefallen; verzichte man
darauf, so „verliere Baiern an Achtung und Würdigkeit bei den Aus-
wärtigen". Für die fünf Kreisobersten verlangte er vollständige Parität,
also ein jährlich wechselndes Directorium. Darum wünschte er auch mög-
lichst wenige Provinzen Oesterreichs und Preußens in den Bund aufzu-
nehmen; jedenfalls dürften die beiden Großmächte nur ebenso viel Truppen
zum Bundesheere stellen wie Baiern.
So enthüllte sich zum ersten male die Absicht der Mittelstaaten das
deutsche Heer, aus Eifersucht gegen die Großmächte, zu schwächen — eine
Politik des Neides, die selbst in der polnischen Geschichte kein Seitenstück
fand und nach Jahren in der lächerlichen Kriegsverfassung des Deutschen
Bundes ihre Absichten durchsetzen sollte. Noch frecher als die Baiern
sprachen die württembergischen Bevollmächtigten; sie rührten durch ihre
herausfordernden Reden den ganzen eklen Bodensatz der alten Rheinbunds-
gesinnung wieder auf. Von Grundrechten der Nation wollten sie schon
darum nichts hören, weil der Stuttgarter Hof das Dasein einer deutschen
Nation nicht anerkannte. Eine schamlose Geschichtsverfälschung, die bereits
in den Schulen der Rheinbundsstaaten ihr Gift zu säen begann, leugnete
kurzerhand Alles ab was den Deutschen durch Jahrhunderte gemeinsam
gewesen, ließ aus der gesammten Vorzeit unseres Volkes nichts gelten als
die acht Jahre der napoleonischen Anarchie. „Der Zweck des Bundes,“
*) Küster's Bericht, München 28. August 1815.
*“) Knesebeck's Denkschrift vom 7. Januar 1814.