Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

692 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Staatsformen in Süddeutschland. Aus den gemeinsten Beweggründen, 
aus Souveränitätsdünkel und particularistischer Angst vor der Einmischung 
der Bundesgewalt entschlossen sich die Cabinette der drei Mittelstaaten 
des Südens, auf eigene Faust das Nothwendige zu thun und ihren Landen 
das Repräsentativsystem zu gewähren. Sie waren dazu auch leichter im 
Stande als Preußen, da ihre napoleonische Präfectenverwaltung bereits 
zehn Jahre Zeit gehabt hatte um alle Landestheile einer gleichmäßigen 
Ordnung zu unterwerfen und jede centrifugale Kraft zu bändigen. König 
Max Joseph hatte schon im September eine Durchsicht der papiernen Ver- 
fassung von 1808 angeordnet; sobald er dann in Wien wahrnahm, daß 
die Großmächte den Souveränen ein Minimum landständischer Rechte von 
Bundeswegen auferlegen wollten, befahl er seiner Revisionscommission im 
October ihre Arbeiten schleunigst zu beendigen. Friedrich von Württemberg 
ließ seine Minister, in einer ungezogenen Replik vom 24. November, die 
unantastbare Allmacht der schwäbischen Königskrone nochmals vertheidigen, 
er wetterte und tobte wider die Anmaßung der Großmächte und verließ 
Wien schon um Weihnachten hoch entrüstet. Gleichwohl entging seiner 
Klugheit nicht, daß es zu Ende war mit den guten Tagen der ungestörten 
Selbstherrlichkeit. Die Schwaben erkannten den brutalen Tyrannen kaum 
wieder, so sanft und gnädig trat er nach seiner Heimkehr plötzlich auf, so 
sichtlich bemühte er sich Frieden zu halten mit seinem Volke; von Napo- 
leon wollte er gar nichts mehr hören, doch ebenso bestimmt sprach er aus, 
daß er niemals irgend einer Weisung aus Wien gehorchen werde.) Am 
11. Januar 1815 überraschte er sein unglückliches Land durch eine Pro- 
clamation, welche die nahe Einberufung eines Landtags ankündigte: der 
König gewähre diese längst beabsichtigte Wohlthat schon jetzt, um zu be- 
weisen, „daß nicht eine äußere Nothwendigkeit oder eine gegen Andere 
eingegangene Verbindlichkeit“ ihn zwinge. Damit glaubte er dem Deut- 
schen Bunde ein Schnippchen geschlagen zu haben; er ahnte nicht, wie 
bald sein mißhandeltes Volk selber ein furchtbares Strafgericht über die 
Sünden des letzten Jahrzehntes halten würde. Auch dem kranken Groß- 
herzog Karl von Baden fehlte es nicht an Verstand. Die herrischen 
Mahnungen der Großmächte schreckten ihn aus seinem dumpfen Brüten auf; 
schon am 1. December ließ er dem preußischen Staatskanzler in einer ver- 
bindlichen Note anzeigen, er sei bereit seinem Volke alle die in dem preu- 
ßischen Bundesplane geforderten landständischen Rechte zu gewähren und 
habe bereits eine Verfassungscommission eingesetzt. Aus so trüben Quellen 
entsprang die constitutionelle Bewegung in Süddeutschland; doch da sie 
der Natur der Dinge entsprach, so nahm sie ihren Fortgang auch als die 
kleinen Kronen von dem Deutschen Bunde nichts mehr zu fürchten hatten. 
In jenem Augenblicke war die Besorgniß der Mittelstaaten keineswegs 
  
*) Berichte des Geschäftsträgers Jouffroy, Stuttgart 12. Jan. 7. März 1815.
	        
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