Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

700 II. 1. Der Wiener Congreß. 
den Mittelstaaten eine neue Felonie zu erschweren und bedachten nicht, 
wie grausam einst das alte Reich unter der zudringlichen Einmischung 
seiner auswärtigen Garanten gelitten hatte. So kam es, daß Preußen 
sich doch noch entschloß die Verhandlungen zu der denkbar ungünstigsten 
Zeit wieder aufzunehmen. 
Auf eine irgend erträgliche Ordnung der deutschen Dinge hoffte 
Humboldt freilich längst nicht mehr; was frommte seine dialektische Kunst 
gegen die Bosheit der Mittelstaaten und die berechnete Zurückhaltung 
Oesterreichs? Er selbst gesteht: jetzt blieb nichts mehr übrig als den 
Bund zu Stande bringen, gleichviel auf welche Weise. Dennoch legte 
er sich abermals in's Zeug und brachte zu Anfang Aprils einen neuen 
wesentlich abgekürzten Entwurf zu Stande. Es war der sechste. Aber 
die Verhandlungen wurden wieder verschoben; die Mittelstaaten zeigten 
keine Neigung sich noch auf irgend etwas einzulassen. In der zweiten 
Hälfte des Monats schien die Stimmung wieder günstiger zu werden. 
Sofort schöpfte Humboldt neuen Muth') und wagte am 1. Mai einen 
siebenten, mehr in das Einzelne eingehenden Plan vorzulegen. 
Die Hofburg jedoch erklärte beide Entwürfe für unmöglich. Das 
Haus Oesterreich selber war natürlich nach seiner oft bewährten Reichs- 
treue zu jedem Opfer bereit; daran durfte Niemand zweifeln, der die 
brünstigen Betheuerungen der k. k. Staatsmänner vernahm. Nur wegen 
des unüberwindlichen Widerstandes der kleinen Königshöfe sah sich der 
österreichische Minister zu seinem lebhaften Bedauern genöthigt, die preu- 
hischen Vorschläge wieder einmal abzuweisen. Metternich wußte aus seiner 
reichen diplomatischen Erfahrung, daß langwierige Streitigkeiten zuletzt 
durch die allgemeine Ermüdung entschieden werden. Jetzt begann dies 
Gefühl bei Jedermann übermächtig zu werden. Alle stimmten dem Oester- 
reicher bei, da er nun heraussagte, was schon im September seine Mei- 
nung gewesen war: an eine Bundesverfassung sei für jetzt doch nicht zu 
denken; genug wenn man ihre „Grundzüge“ feststelle. Dann holte er 
jenen Wessenbergischen Plan vom December wieder hervor, der allerdings 
kaum als der Grundzug eines Grundzugs gelten konnte, ließ das Mach- 
werk ein wenig erweitern und übergab diese Umarbeitung am 7. Mai 
als achten Entwurf den preußischen Staatsmännern. Ueber diesen Ent- 
wurf ward nun endlich eingehend zwischen Metternich und Hardenberg 
verhandelt. Auf Preußens Wunsch schaltete der Oesterreicher einige ver- 
schärfende Zusätze ein, der Staatskanzler fügte eigenhändig den Artikel 
über die Medigtisirten hinzu, und so entstand jener neunte und letzte 
Bundesplan, welchen Metternich am 23. Mai im Namen Oesterreichs 
und Preußens den Bevollmächtigten aller deutschen Staaten zur Be- 
schlußfassung unterbreitete. Trotz der zweimaligen Umarbeitung waren 
  
*.) So berichtet er selbst in der Systematischen Uebersicht.
	        
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