Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

704 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Hofrath von Globig, der Gesandte des endlich wieder hergestellten Königs 
von Sachsen, in die Versammlung eingeführt; durch ihn erhielten die 
centrifugalen Kräfte eine werthvolle Verstärkung. Globig trat natürlich 
mit seinem alten Gönner Metternich in vertrauliche Berathungen. Man 
erwog insgeheim, ob Sachsen nicht einem süddeutschen Bunde unter 
Oesterreichs Führung beitreten solle, gab aber den Gedanken rasch wieder 
auf; der Oesterreicher meinte: gegenwärtig erscheine ein gesammtdeutscher 
Bund doch als das geeignetste Mittel um den Ehrgeiz Preußens wirksam 
zu beschränken! Am 30. Mai besprach die Conferenz den Artikel über 
die Landtage. Der lautete jetzt, nachdem Oesterreich alle die in den 
preußischen Entwürfen vorgeschriebenen landständischen Rechte gestrichen 
hatte, ganz kurz: In allen deutschen Staaten soll eine landständische Ver- 
fassung bestehen. Gagern, allezeit ein begeisterter Vertreter der constitutio- 
nellen Ideen, fand diese Fassung zu nackt und unbefriedigend. Anderen 
erschien sie zu streng und gebieterisch; wer durfte sich denn herausnehmen, 
souveränen Fürsten mit einem „soll“ irgend etwas zu befehlen? Die 
Mehrheit beschloß: „In allen deutschen Staaten wird eine landständische 
Verfassung stattfinden" — statt eines Befehles eine Prophezeiung! Und 
mancher der Abstimmenden hoffte schon insgeheim als ein falscher Prophet 
erfunden zu werden. 
Der 2. Juni brachte die Katastrophe, den Triumph des Particula- 
rismus. Die deutsche Welt sollte erfahren, was die Wiederherstellung 
des albertinischen Königthums für unsere nationale Politik bedeutete. 
Darüber war kein Streit, daß man jetzt nur über die Grundzüge der 
künftigen Bundesverfassung berieth. Die Bundesacte sagte ausdrücklich, 
das erste Geschäft des Frankfurter Bundestags werde „die Abfassung 
der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung“ sein. 
So blieb doch noch die schwache Hoffnung, daß sich in Frankfurt nach 
Napoleon's Niederwerfung vielleicht eine verständige Mehrheit bilden und 
einige der Wiener Sünden sühnen konnte. Da beantragte Sachsen das 
liberum veto, die Einstimmigkeit für alle Beschlüsse des Plenums der 
Bundesversammlung. Ein letzter Rest von Schamgefühl hinderte die 
Conferenz zwar, diesen Antrag in seiner nackten Frechheit anzunehmen. 
Aber die Mehrheit beschloß Tags darauf, was der Sache nach auf das- 
selbe hinauslief: daß alle Beschlüsse über die Grundgesetze, über organische 
Bundeseinrichtungen, über fura sin gulorum und Religionsangelegenheiten 
nur mit Stimmeneinhelligkeit gefaßt werden dürften. Damit wurde ein 
neuer polnischer Reichstag begründet, der gesetzlichen Fortbildung des 
deutschen Gesammtstaates für immer ein Riegel vorgeschoben, die Partei 
der Reform in die Bahnen der Revolution hinübergedrängt Dies 
war das erste Lebenszeichen des wieder aufgerichteten sächsischen König- 
reichs. Die Grundgesetze einer Bundesverfassung, die noch gar nicht 
bestand, deren Grundzüge man erst feststellte, an einstimmige Beschlüsse
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.