708 II. 1. Der Wiener Congreß.
föderalistischen Schrulle; denn in einer erläuternden Note bemerkte der
luxemburgische Gesandte: da sein König nur die Gesammtheit der deut-
schen Staaten als Deutschen Bund gelten lasse, so dürfe die Besatzung
der Bundesfestung Luxemburg auch nur vom Bunde, d. h. von allen
Staaten abwechselnd gestellt werden. Gleichwohl war die Erklärung des
redseligen Phantasten sicherlich nicht bös gemeint. Er ahnte nicht, welches
arge Beispiel er gab. Welch eine Verwirrung mußte entstehen, wenn noch
mehrere der übrigen Staaten erklärten: wir treten nur bei, falls alle
Anderen beitreten! Und so geschah es in der That. Die Entscheidung über
Deutschlands Zukunft ward im Submissionswege ausgeboten und schließlich
denen zugeschlagen, die das Geringste für das Vaterland leisten wollten.
In der Conferenz am 8. Juni, so war beschlossen, sollten die noch
ausstehenden Beitrittserklärungen verlesen und das Werk beendet werden.
Die zwei Tage bis dahin vergingen in banger Aufregung, in peinlicher
Angst. Graf Rechberg ließ nichts von sich hören; allgemein ward ver-
sichert, Baiern trete nicht bei. Selbst der kaltblütige Humboldt war wie
vernichtet, nach Allem was er in dieser Gesellschaft hatte erleben müssen.
Völlig entmuthigt entwarf er bereits den Plan für einen provisorischen
Bund ohne Baiern.“) Unterdessen trug Gagern's Fehler seine Früchte.
Sachsen, Darmstadt und Andere, ja sogar Dänemark und Mecklenburg,
welche am 5. Juni ohne Vorbehalt beigetreten waren, erklärten jetzt, sie
könnten sich nur einem Bunde, der das ganze Deutschland umfasse, an-
schließen. Mehrere dieser Staaten baten ausdrücklich, man möge den
Fürsten, welche noch draußen bleiben wollten, durch neue Zugeständnisse
den Eintritt ermöglichen. Es war eine Schraube ohne Ende. Wenn
Baiern sich versagte, so stob Alles auseinander.
Da meldete Graf Rechberg am Morgen des 8. Juni, seine neuen
Instructionen seien eingetroffen. So behauptete er wenigstens; doch scheint
es keineswegs unmöglich, daß der Baier sich diesen ganzen lächerlichen
Schlußeffect des unwürdigen Intriguenstücks nur in seiner schöpferischen
Phantasie ausgedacht hat um die letzten Wünsche der Wittelsbacher desto
sicherer durchzudrücken. Genug, Alles athmete auf. Oesterreich und
Preußen traten sofort mit Rechberg in vertrauliche Berathung; er aber
forderte außer einigen Kleinigkeiten: Beseitigung des Bundesgerichts und
des Artikels über die katholische Kirche. So erfüllte sich denn was Har-
denberg am 27. Mai warnend vorhergesagt: die beiden Großmächte kamen
wirklich in die schiefe Lage, um des Friedens willen für die Schwächung
der Bundesgewalt stimmen zu müssen, was für Metternich freilich kein
Opfer war. Das Bundesgericht siel — der Schlußstein des deutschen
Rechtsgebäudes, wie es Humboldt so oft genannt; und von den Papier-
*) Humboldt, Entwurf für einen vorläufigen Vertrag zwischen den beitretenden
deutschen Staaten.