Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

62 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
denn je in Republiken eine festere Bürgertugend gediehen, als hier unter 
dem stählenden nordischen Himmel, bei den Nachkommen jener heroischen 
Nationen, der Gothen und Vandalen, die einst das Römerreich in Trüm- 
mer schlugen? Derselbe Sinn lebt in den Massen des Volks; er ver- 
räth sich bald in dreister Prahlerei, in den tausend landläufigen Spott- 
geschichten von kaiserlicher Dummheit und preußischer Husarenlist, bald in 
rührenden Zügen gewissenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim 
Nettelbeck kommt nach Danzig und wird gedungen, den König von Polen 
über den Hafen zu rudern; man setzt ihm einen Hut auf mit dem 
Namenszuge König August's; er sträubt sich lange, denn das fremde 
Hoheitszeichen zu tragen scheint ihm ein Verrath an seinem Preußen- 
könig; endlich muß er sich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm 
in der Hand, und sobald er nach Pommern heimkehrt schenkt er das 
Sündengeld dem ersten preußischen Invaliden, der ihm in den Weg 
kommt. So reizbar ward jetzt der politische Stolz in diesem Volke, das 
vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armseligkeit seiner häuslichen 
Sorgen verkam. 
Es ließ sich doch nicht vergessen, daß zu den zwei großen Kriegsfürsten 
der Geschichte, zu Caesar und Alexander, sich nunmehr ein Preuße als 
Dritter gesellte. Im Gemüthe des norddeutschen Volks liegt dicht neben 
der festen Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtsinns, der mit der Ge- 
fahr vermessen zu spielen liebt, und dies ihr eigenes Wesen fanden die 
Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit gesteigert 
wieder: wie er, nach harter Lehrzeit rasch zum Meister gereift, die behut- 
samen Regeln der schwerfälligen alten Kriegskunst zur Seite warf und 
selber dem Feinde „das Gesetz des Krieges dictirte", stets bereit die Ent- 
scheidung in freier Feldschlacht zu suchen; wie er die kühnste der Waffen, 
die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege 
gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder seiner drei Niederlagen 
immer von Neuem „das stolze Vorrecht der Initiative“ behauptete. Der 
Erfolg lehrte, wie glücklich der König und sein Volk einander verstanden. 
Ein dichter Kreis von Helden schaarte sich um den Feldherrn und ver- 
breitete bis in die untersten Schichten des Heeres die frohe Wagelust, 
jenen Geist der Offensive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke 
der preußischen Armee geblieben ist; aus märkischen Junkern und pom- 
merschen Bauernburschen erzog sich Friedrich die gefürchteten Regimenter 
Ansbach-Bayreuth-Dragoner und Zieten-Husaren, die im tollen Dahin- 
jagen und schneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns 
übertrafen. Mit Stolz sprach der König aus, für solche Soldaten gebe 
es kein Wagniß: „ein General, der in anderen Heeren für tollkühn gel- 
ten würde, thut bei uns nur seine Pflicht.“ Die zwölf Feldzüge der 
fridericianischen Zeit haben dem kriegerischen Geiste des preußischen Volkes 
und Heeres für immer seine Eigenart gegeben; noch heute verfällt der
	        
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