Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

710 II. 1. Der Wiener Congreß. 
So entstand die Bundesacte, die unwürdigste Verfassung, welche je 
einem großen Culturvolke von eingeborenen Herrschern auferlegt ward, 
ein Werk, in mancher Hinsicht noch kläglicher als das Gebäude des alten 
Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majestät 
der historischen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um- 
schwebte. Blank und neu stieg dies politische Gebilde aus der Grube, 
das Werk einer kurzlebigen, in sich selbst versunkenen Diplomatie, die aller 
Erinnerungen des eigenen Volkes vergessen hatte; kein Rost der Jahr- 
hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiser und 
Reich sang und sagte das Volk; bei dem Namen des Deutschen Bundes 
hat niemals ein deutsches Herz höher geschlagen. Unter den Bundes- 
staaten hatten nur sechs der kleinsten ihren Besitzstand seit zwanzig Jahren 
nicht verändert; selbst das geduldigste der Völker konnte an die Legitimität 
einer zugleich so neuen und so willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr 
glauben. Dieselbe Fremdherrschaft, die das alte Reich zu Grunde ge- 
richtet, belastete auch den neuen Bund. Oesterreichs Uebermacht hatte sich 
seit den Tagen Friedrich's erheblich verstärkt, sie war jetzt um so schwerer 
zu brechen, da sie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herrischen Formen 
des Kaiserthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten schaden- 
froh: wie schön, daß wir Oesterreich und Preußen zusammengekoppelt 
und dadurch geschwächt haben! Das alte Reichsrecht sprach doch noch 
von einer deutschen Nation; die Vorstellung mindestens, daß alle Deut- 
schen ihrem Kaiser treu, hold und gewärtig seien, war niemals ganz ver- 
schwunden. Die neue Bundesacte wußte gar nichts mehr von einem 
deutschen Volke; sie kannte nur Baiern, Waldecker, Schwarzburg-Sonders- 
hausener Unterthanen jener deutschen Fürsten, welche nach Gefallen zu 
einem völkerrechtlichen Vereine zusammengetreten waren. Die Nation 
mußte den Becher der Demüthigung bis zur Hefe leeren; jene württem- 
bergische Mahnung: „man werde doch nicht aus verschiedenen Völker- 
schaften sozusagen eine Nation bilden wollen“ hatte vollständig Recht be- 
halten. Die Deutschen standen außer jeder Beziehung zu der Bundes- 
gewalt, waren nicht einmal verpflichtet ihr zu gehorchen; nur wenn ein 
Souverän einen Bundesbeschluß als Landesgesetz zu verkündigen geruhte, 
mußten seine Unterthanen diesem Landesgesetze sich fügen. Die Nation war 
mediatisirt durch einen Fürstenbund. Wie die Revolution von 1803 so 
ward auch diese neue Verfassung Deutschlands ausschließlich durch die 
Dynastien geschaffen. 
Der neue Bundestag war der Regensburger Reichstag in etwas 
modernerer Gestalt, ganz ebenso schwerfällig und unbrauchbar; daß er bald 
als engerer Rath bald als Plenum tagte, war eine leere Förmlichkeit, da 
auch im engeren Rathe alle Neununddreißig mitstimmten. Der Wider- 
spruch zwischen dem formalen Rechte und der lebendigen Macht trat im 
Deutschen Bunde sogar noch greller hervor als im heiligen Reiche. Der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.