Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

712 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Machthaber zu glauben. Wie sonderbar nahm sich neben den unbestimm- 
ten Phrasen über Preßfreiheit, Handelsfreiheit, Landstände die genaue 
Aufzählung der Privilegien der Mediatisirten und der Thurn= und Taxis- 
schen Postrechte aus. Und zu Alledem das Kläglichste: die Bundesacte 
war gar keine Verfassung, sondern enthielt nur die damals ausgeführten 
Grundzüge eines künftigen Bundesrechts. Vier Jahre später schrieb der 
ehrliche Gagern nicht ohne Reue einem conservativen Freunde: „Sie reden 
von der Erhaltung des Bestehenden. Ich suche vergeblich den Bestand. 
Ich sehe eine Bundesacte, die wir zu entwickeln zu Wien uns erst vor- 
nahmen!“ 
In den Gebietshändeln hatten Preußens Staatsmänner, durch die 
Festigkeit ihres Königs, doch einen halben Erfolg erreicht. In den Bundes- 
verhandlungen wurden sie auf's Haupt geschlagen; nichts, gar nichts von 
ihren Absichten hatten sie durchgesetzt. Aber der Schild preußischer Ehre 
war ohne Makel geblieben. Die Haltung des Staates, der uns von 
den Fremden befreit, gereichte noch in Wien allen anderen Deutschen 
zur Beschämung — wenn in einem solchen harten Interessenkampfe die 
Scham überhaupt Raum fände. Zäh und redlich, consequenter als Stein 
hatten Hardenberg und Humboldt einen bestimmten Plan eingehalten, 
immer nur Schritt für Schritt zurückweichend vor dem vereinten Wider- 
stande nahezu des gesammten Deutschlands, einen Plan, der freilich auch 
an der allgemeinen politischen Unklarheit der Epoche krankte, aber jeden- 
falls ehrenhafter und verständiger war als alle anderen Wiener Vorschläge. 
Die beständig wechselnde Form ihrer Entwürfe war nicht ihre Schuld, 
sondern ergab sich unvermeidlich aus der Bedrängniß eines aussichtslosen 
Streites wider Gegner, die nicht durch das Wort, sondern allein durch 
den Schlag überzeugt werden konnten. Das Einzige, was den Beiden 
zur Last fiel, war das arglose Vertrauen zu den falschen Freunden Oester- 
reich und Hannover. Aber selbst ein vollkommener Staatsmann, der von 
solcher Schwäche frei blieb, konnte in diesem Kriege nicht siegen. Der ge- 
sammte Gang der deutschen Schicksale während der jüngsten Jahre führte 
unabwendbar zu der traurigen und doch nothwendigen Folge, daß nach 
Napoleon's Fall nicht sein tapferer Feind Preußen, sondern sein schwan- 
kender Gegner Oesterreich und dessen Bundesgenossen, die Rheinbündner 
über die Gestaltung unseres Staates entschieden. 
Selbst der Czar äußerte seinen Unwillen über den kläglichen Aus- 
gang, und sogar Gentz hatte ein so lächerliches Machwerk doch nicht er- 
wartet. Gleichwohl besaß die neue Ordnung der deutschen Dinge drei 
folgenschwere Vorzüge. Die welthistorischen Wirkungen der Fürstenrevo- 
lution von 1803 blieben unverändert, das fratzenhafte theokratische Wesen 
kehrte nicht wieder; das neue Deutschland athmete in der gesunden Luft 
weltlichen Staatslebens. Sodann ward durch die Bundesverfassung die 
Entstehung eines neuen Rheinbundes zwar keineswegs verhindert aber
	        
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