Das Bündniß gegen Buonaparte. 723
Diese rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach—
her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht
allein verschuldet — denn die Entscheidung gab der vereinte Widerstand,
welchen das gesammte Europa den deutschen Forderungen entgegensetzte
— aber die Stellung der deutschen Unterhändler auf dem Friedenscon—
gresse wesentlich erschwert. Genug, diesem vieldeutigen Bündniß „gegen
Buonaparte“ traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine
thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murat's in Italien, die rasch nieder—
geschlagen ward, bestärkte die Höfe in der Ueberzeugung, daß jede Ver—
handlung mit dem Bonapartismus unmöglich sei. Deutschland erschien,
was seit drei Jahrhunderten nicht mehr erlebt worden, schon beim Be-
ginne des großen Krieges vollkommen einig. Offenen Verrath wagte Nie-
mand mehr, obwohl sich die böse Gesinnung des Münchener und des
Stuttgarter Hofes wieder in tausend Zänkereien über das Verpflegungs-
wesen bekundete. Aber die Nation sollte schmerzlich genug erfahren, daß
Einigkeit nicht Einheit ist. Da der Deutsche Bund in dem Augenblicke
der Kriegserklärung noch nicht bestand, so konnten die deutschen Staaten
auch nur einzeln der Coalition beitreten; sie erhielten im Rathe der großen
Mächte keine Stimme und erprobten sogleich, wie werthlos jenes Recht
der selbständigen diplomatischen Vertretung war, das sie als die schönste
Zierde ihrer Kronen betrachteten.
Angesichts der ungeheuren Ueberlegenheit der Streitkräfte der Ver-
bündeten verhieß die alsbaldige Eröffnung des Feldzugs sicheres Gelingen;
fast alle namhaften Generale der Coalition, Blücher und Gneisenau, Wel-
lington, Toll und Diebitsch stimmten darin überein. Die Zögerung,
meinte Blücher, schafft Napoleon nur die Heere, die wir mit vielem Blute
bekämpfen müssen. Nach Gneisenau's Ansicht konnten am 1. Mai drei große
Armeen von je 200,000 Mann etwa am Ober-, Mittel- und Niederrhein
zum Einmarsch in Frankreich bereit stehen. Sein staatsmännischer Blick sah
voraus, was fast alle Uebrigen für unmöglich hielten, daß der Imperator
die Offensive ergreifen würde. Um so dringender rieth er den Allürten
ihrerseits mit dem Angriff zuvorzukommen. Rückten die drei Armeen
gleichzeitig gegen Paris vor und versammelte sich unterdessen in ihrem
Rücken die vierte Armee, die aus Rußland herankam, dann konnte Napo-
leon nur einer von ihnen eine ebenbürtige Macht entgegenstellen; erlitt
das eine Heer durch die Feldherrnkunst des Gegners einen Unfall, so
zog es sich auf die große Reservearmee zurück, die beiden anderen aber
blieben im Vorgehen auf Paris. Wieder wie vor'm Jahre bezeichnete
Gneisenau die feindliche Hauptstadt als das einzig mögliche Ziel des
Kampfes, während selbst muthige Männer wie Humboldt bedenklich mein-
ten, die Geschichte kenne keine Wiederholungen. Und wieder wie damals
warnte er vor jeder Zersplitterung der Kräfte: mit dem Sturze Napo-
leon's sei alles Andere, auch das Schicksal Italiens von selbst entschieden.
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