Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Das Bündniß gegen Buonaparte. 723 
Diese rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach— 
her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht 
allein verschuldet — denn die Entscheidung gab der vereinte Widerstand, 
welchen das gesammte Europa den deutschen Forderungen entgegensetzte 
— aber die Stellung der deutschen Unterhändler auf dem Friedenscon— 
gresse wesentlich erschwert. Genug, diesem vieldeutigen Bündniß „gegen 
Buonaparte“ traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine 
thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murat's in Italien, die rasch nieder— 
geschlagen ward, bestärkte die Höfe in der Ueberzeugung, daß jede Ver— 
handlung mit dem Bonapartismus unmöglich sei. Deutschland erschien, 
was seit drei Jahrhunderten nicht mehr erlebt worden, schon beim Be- 
ginne des großen Krieges vollkommen einig. Offenen Verrath wagte Nie- 
mand mehr, obwohl sich die böse Gesinnung des Münchener und des 
Stuttgarter Hofes wieder in tausend Zänkereien über das Verpflegungs- 
wesen bekundete. Aber die Nation sollte schmerzlich genug erfahren, daß 
Einigkeit nicht Einheit ist. Da der Deutsche Bund in dem Augenblicke 
der Kriegserklärung noch nicht bestand, so konnten die deutschen Staaten 
auch nur einzeln der Coalition beitreten; sie erhielten im Rathe der großen 
Mächte keine Stimme und erprobten sogleich, wie werthlos jenes Recht 
der selbständigen diplomatischen Vertretung war, das sie als die schönste 
Zierde ihrer Kronen betrachteten. 
Angesichts der ungeheuren Ueberlegenheit der Streitkräfte der Ver- 
bündeten verhieß die alsbaldige Eröffnung des Feldzugs sicheres Gelingen; 
fast alle namhaften Generale der Coalition, Blücher und Gneisenau, Wel- 
lington, Toll und Diebitsch stimmten darin überein. Die Zögerung, 
meinte Blücher, schafft Napoleon nur die Heere, die wir mit vielem Blute 
bekämpfen müssen. Nach Gneisenau's Ansicht konnten am 1. Mai drei große 
Armeen von je 200,000 Mann etwa am Ober-, Mittel- und Niederrhein 
zum Einmarsch in Frankreich bereit stehen. Sein staatsmännischer Blick sah 
voraus, was fast alle Uebrigen für unmöglich hielten, daß der Imperator 
die Offensive ergreifen würde. Um so dringender rieth er den Allürten 
ihrerseits mit dem Angriff zuvorzukommen. Rückten die drei Armeen 
gleichzeitig gegen Paris vor und versammelte sich unterdessen in ihrem 
Rücken die vierte Armee, die aus Rußland herankam, dann konnte Napo- 
leon nur einer von ihnen eine ebenbürtige Macht entgegenstellen; erlitt 
das eine Heer durch die Feldherrnkunst des Gegners einen Unfall, so 
zog es sich auf die große Reservearmee zurück, die beiden anderen aber 
blieben im Vorgehen auf Paris. Wieder wie vor'm Jahre bezeichnete 
Gneisenau die feindliche Hauptstadt als das einzig mögliche Ziel des 
Kampfes, während selbst muthige Männer wie Humboldt bedenklich mein- 
ten, die Geschichte kenne keine Wiederholungen. Und wieder wie damals 
warnte er vor jeder Zersplitterung der Kräfte: mit dem Sturze Napo- 
leon's sei alles Andere, auch das Schicksal Italiens von selbst entschieden. 
46“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.