Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Zustand des preußischen Heeres. 727 
arge Spiel der geheimen Verdächtigung gegen das schlesische Hauptquartier. 
In den Offizierskreisen versicherte man bestimmt: Herzog Karl von Meck- 
lenburg, der den Feldmarschall bei der Abreise im Namen der Berliner 
Garnison noch einmal begrüßte, habe vergeblich um ein Brigadecommando 
in der Blücher'schen Armee gebeten; der Schwager des Königs solle dem 
gefährlichen Einflusse Gneisenau's fern gehalten werden. General Knese- 
beck unternahm sogar den Feldmarschall selbst zu freiwilligem Verzicht auf 
den Oberbefehl zu bereden; doch kaum fing er behutsam an von Blücher's 
hohen Jahren zu sprechen, so lachte der Alte hell auf: was das für 
dummes Zeug ist! 
Damit war Alles abgethan; wer hätte den Helden der Nation von 
der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten- 
armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann 
gewesen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grausamer 
Schlag: sein Lieblingssohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter- 
offizier, war im Kriege schwer am Kopfe verwundet worden und verfiel 
in unheilbare Geisteskrankheit. Aber sobald der Krieg entschieden war, 
raffte sich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim 
Schmettern der Trompete; er fühlte die Last der Jahre und des Kummers 
nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten 
ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor'm Jahre 
vorhersagte, der Bösewicht werde ganz gewiß aus seinem Käfig ausbrechen? 
Ueberall auf der Reise drängten sich die Massen um den volksthümlichen 
Helden. Frisch und jugendlich, leuchtend von Zuversicht trat er unter 
seine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue ostfriesische 
Regiment, die Landsleute seiner herzlieben Frau mit unter seinen Be- 
fehlen zu sehen. Den erbitterten sächsischen Offizieren hielt er aus der 
Fülle seines deutschen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er 
nicht Preußen noch Sachsen, hier seien nur Deutsche, die für ihr großes 
Vaterland siegen wollten und müßten. Mit diesem Heere getraute er 
sich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht 
dazwischen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten 
und schrieb siegesgewiß an seinen getreuen Heinen, der ihm daheim seine 
Güter verwaltete: „Die Franzosen habe ich vor mich, den Ruhm hinter 
mich, balde wird es knallen!“) 
Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der 
König der Niederlande, der so dringend um schleunigen Einmarsch der 
Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er sich in Sicherheit wußte, gar 
nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande; 
er kannte die Verachtung, welche die preußischen Offiziere seit dem thürin- 
gischen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte sie durch unverhohlene Ab- 
  
*) Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815.
	        
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