Zustand des preußischen Heeres. 727
arge Spiel der geheimen Verdächtigung gegen das schlesische Hauptquartier.
In den Offizierskreisen versicherte man bestimmt: Herzog Karl von Meck-
lenburg, der den Feldmarschall bei der Abreise im Namen der Berliner
Garnison noch einmal begrüßte, habe vergeblich um ein Brigadecommando
in der Blücher'schen Armee gebeten; der Schwager des Königs solle dem
gefährlichen Einflusse Gneisenau's fern gehalten werden. General Knese-
beck unternahm sogar den Feldmarschall selbst zu freiwilligem Verzicht auf
den Oberbefehl zu bereden; doch kaum fing er behutsam an von Blücher's
hohen Jahren zu sprechen, so lachte der Alte hell auf: was das für
dummes Zeug ist!
Damit war Alles abgethan; wer hätte den Helden der Nation von
der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten-
armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann
gewesen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grausamer
Schlag: sein Lieblingssohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter-
offizier, war im Kriege schwer am Kopfe verwundet worden und verfiel
in unheilbare Geisteskrankheit. Aber sobald der Krieg entschieden war,
raffte sich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim
Schmettern der Trompete; er fühlte die Last der Jahre und des Kummers
nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten
ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor'm Jahre
vorhersagte, der Bösewicht werde ganz gewiß aus seinem Käfig ausbrechen?
Ueberall auf der Reise drängten sich die Massen um den volksthümlichen
Helden. Frisch und jugendlich, leuchtend von Zuversicht trat er unter
seine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue ostfriesische
Regiment, die Landsleute seiner herzlieben Frau mit unter seinen Be-
fehlen zu sehen. Den erbitterten sächsischen Offizieren hielt er aus der
Fülle seines deutschen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er
nicht Preußen noch Sachsen, hier seien nur Deutsche, die für ihr großes
Vaterland siegen wollten und müßten. Mit diesem Heere getraute er
sich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht
dazwischen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten
und schrieb siegesgewiß an seinen getreuen Heinen, der ihm daheim seine
Güter verwaltete: „Die Franzosen habe ich vor mich, den Ruhm hinter
mich, balde wird es knallen!“)
Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der
König der Niederlande, der so dringend um schleunigen Einmarsch der
Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er sich in Sicherheit wußte, gar
nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande;
er kannte die Verachtung, welche die preußischen Offiziere seit dem thürin-
gischen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte sie durch unverhohlene Ab-
*) Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815.