734 II. 2. Belle Alliance.
immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchsten Pünktlichkeit
allenfalls in starken vierundzwanzig Stunden versammeln zu können —
zerstreute Wellington seine Truppen ohne Noth, absichtlich über einen noch
weit größeren Raum. Denn da er Napoleon's Charakter und Kriegsweise
nicht kannte, so nahm er an, die Franzosen würden in mehreren Colon—
nen, an verschiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver—
theilte seine Armee, statt sie nahe an die Preußen heranzuschieben, auf
der weiten Linie von Quatrebras bis westlich in die Gegend von Gent,
während er nach seiner streng methodischen Art seine Reserve bei Brüssel
zurückbehielt um nach Umständen die bedrohten Punkte unterstützen zu
können. So dachte er gegen jeden möglichen Angriff gerüstet zu sein, die
Verbindung mit England über Antwerpen und Ostende sicherzustellen und
zugleich seine Schützlinge, den Hof des flüchtigen Königs in Gent und
das Häuflein der bourbonischen Haustruppen bei Alost vor einer Ueber—
rumpelung zu bewahren. Aber durch diese weitgedehnte Aufstellung ward
ein rasches Zusammenwirken mit Blücher verhindert; es blieb möglich,
daß Napoleon, der jedem einzelnen der beiden verbündeten Heere über-
legen war, sich plötzlich zwischen die beiden Armeen eindrängte und die
Preußen, die ihm am nächsten standen, schlug ehe Wellington zur Unter-
stützung herbeieilen konnte. —
Kurz bevor die Schwerter aus der Scheide fuhren erlebte die deutsche
Armee noch eine unheimliche Katastrophe. Selbst dieser erste Krieg, den die
Deutschen in vollem Einmuth führten, sollte nicht beginnen, ohne daß die
Flammen des alten grimmigen Bruderzwistes noch einmal aus dem Bo-
den emporschlugen. Den unglücklichen sächsischen Händeln folgte in Bel-
gien noch ein tragisches Nachspiel. Sobald die großen Mächte über
Sachsens Schicksal einig geworden, hatten sie beschlossen den gefangenen
König in die Nähe von Wien kommen zu lassen, damit er der geschlosse-
nen Uebereinkunft beiträte. Die preußische Regierung wußte aus Dresden,
daß der sächsische Hofadel die Durchreise seines angestammten Fürsten zu
lärmenden Kundgebungen benutzen wollte; sie wußte desgleichen durch die
Minister in Berlin, daß Friedrich August entschlossen war, alles in Wien
Beschlossene rundweg abzulehnen und die Verhandlungen von vorn zu
beginnen.) Sofort traf Hardenberg seine Maßregeln. Der Gefangene
mußte, als er am 22. Februar die Reise nach Preßburg antrat, seinen
Weg durch Schlesien nehmen. An der österreichischen Grenze begrüßte
ihn alsbald das Geläute der Glocken und aller Pomp eines fürstlichen
Empfanges. Doch mehr als solche Ehren konnte Kaiser Franz seinem
Schützlinge nicht bieten; denn neben der Abwehr des neuen Angriffs der
Franzosen erschien jetzt der Streit um Sachsen in seiner ganzen klein-
*) Berichte des sächsischen Generalgouvernements und des Ministers v. d. Goltz
an den Staatskanzler vom 2. Januar und 19. Februar 1815.