Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

734 II. 2. Belle Alliance. 
immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchsten Pünktlichkeit 
allenfalls in starken vierundzwanzig Stunden versammeln zu können — 
zerstreute Wellington seine Truppen ohne Noth, absichtlich über einen noch 
weit größeren Raum. Denn da er Napoleon's Charakter und Kriegsweise 
nicht kannte, so nahm er an, die Franzosen würden in mehreren Colon— 
nen, an verschiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver— 
theilte seine Armee, statt sie nahe an die Preußen heranzuschieben, auf 
der weiten Linie von Quatrebras bis westlich in die Gegend von Gent, 
während er nach seiner streng methodischen Art seine Reserve bei Brüssel 
zurückbehielt um nach Umständen die bedrohten Punkte unterstützen zu 
können. So dachte er gegen jeden möglichen Angriff gerüstet zu sein, die 
Verbindung mit England über Antwerpen und Ostende sicherzustellen und 
zugleich seine Schützlinge, den Hof des flüchtigen Königs in Gent und 
das Häuflein der bourbonischen Haustruppen bei Alost vor einer Ueber— 
rumpelung zu bewahren. Aber durch diese weitgedehnte Aufstellung ward 
ein rasches Zusammenwirken mit Blücher verhindert; es blieb möglich, 
daß Napoleon, der jedem einzelnen der beiden verbündeten Heere über- 
legen war, sich plötzlich zwischen die beiden Armeen eindrängte und die 
Preußen, die ihm am nächsten standen, schlug ehe Wellington zur Unter- 
stützung herbeieilen konnte. — 
Kurz bevor die Schwerter aus der Scheide fuhren erlebte die deutsche 
Armee noch eine unheimliche Katastrophe. Selbst dieser erste Krieg, den die 
Deutschen in vollem Einmuth führten, sollte nicht beginnen, ohne daß die 
Flammen des alten grimmigen Bruderzwistes noch einmal aus dem Bo- 
den emporschlugen. Den unglücklichen sächsischen Händeln folgte in Bel- 
gien noch ein tragisches Nachspiel. Sobald die großen Mächte über 
Sachsens Schicksal einig geworden, hatten sie beschlossen den gefangenen 
König in die Nähe von Wien kommen zu lassen, damit er der geschlosse- 
nen Uebereinkunft beiträte. Die preußische Regierung wußte aus Dresden, 
daß der sächsische Hofadel die Durchreise seines angestammten Fürsten zu 
lärmenden Kundgebungen benutzen wollte; sie wußte desgleichen durch die 
Minister in Berlin, daß Friedrich August entschlossen war, alles in Wien 
Beschlossene rundweg abzulehnen und die Verhandlungen von vorn zu 
beginnen.) Sofort traf Hardenberg seine Maßregeln. Der Gefangene 
mußte, als er am 22. Februar die Reise nach Preßburg antrat, seinen 
Weg durch Schlesien nehmen. An der österreichischen Grenze begrüßte 
ihn alsbald das Geläute der Glocken und aller Pomp eines fürstlichen 
Empfanges. Doch mehr als solche Ehren konnte Kaiser Franz seinem 
Schützlinge nicht bieten; denn neben der Abwehr des neuen Angriffs der 
Franzosen erschien jetzt der Streit um Sachsen in seiner ganzen klein- 
  
*) Berichte des sächsischen Generalgouvernements und des Ministers v. d. Goltz 
an den Staatskanzler vom 2. Januar und 19. Februar 1815.
	        
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