Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Rückzug von Ligny. 747 
liche erschien. Aber nahm die Armee die Richtung nach der Maas, so 
entfernte sie sich von den Bundesgenossen, und es stand mit Sicherheit 
zu erwarten, daß der behutsame englische Feldherr sich dann nach Ant— 
werpen, vielleicht auf seine Schiffe zurückzog. So ging der belgische Feld— 
zug mit einem Schlage zu Ende, und wer stand dafür, ob die Coalition 
mit ihren bösen Congreß-Erinnerungen, mit ihrer mühsam verhaltenen 
Zwietracht, mit ihrem kleinmüthigen Schwarzenbergischen Hauptquartiere 
dann noch den Muth fand den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen, wenn 
ihre beiden besten Feldherren das Spiel verloren gaben? Ein Ausweg 
blieb noch: hatte Wellington nicht vorwärts zu den Preußen kommen 
wollen, so konnten diese rückwärts die Vereinigung mit dem englischen 
Heere suchen. Wenn die Armee ihre Verbindung mit dem Rheine auf- 
gab und auf jede Gefahr hin den schwierigen Weg nach Norden, in der 
Richtung auf Wavre einschlug, so näherte sie sich den Verbündeten und 
es blieb möglich, daß in zwei oder drei Tagen irgendwo in der Nähe von 
Brüssel die Schlacht mit vereinten Kräften noch geschlagen wurde, welche 
heute durch Wellington's Schuld vereitelt war. In wenigen Minuten 
mußte der folgenschwere Entschluß gefaßt werden; das Schicksal der nächsten 
Monate europäischer Geschichte hing daran. Gneisenau entschied wie er 
mußte, wie außer ihm von allen Heerführern jener Tage nur noch Blücher 
selbst entschieden hätte. Nach einem Blick auf die Karte befahl er den 
Marsch nordwärts über Tilly und Mellery nach Wavre. 
Die Adjutanten flogen aus um den Truppen in der Finsterniß die 
Richtung anzugeben. General Jagow deckte den Rückzug, blieb noch bis 
2 Uhr Nachts auf dem Schlachtfelde. Die Franzosen trauten ihrem eigenen 
Siege nicht, die Garde stand die ganze Nacht hindurch unter den Waffen. 
Sie wagten weder zu verfolgen noch auch nur die Marschrichtung der 
Geschlagenen zu erkunden und verloren jede Fühlung mit dem Gegner. 
Die preußische Armee hatte 12,000 Mann verloren, etwas mehr als der 
Feind, das Corps Zieten sogar fast ein Viertel seiner Mannschaft. Aber 
so unerschütterlich war die sittliche Spannkraft dieses Heeres: nach wenigen 
Stunden der Nachtruhe standen die Regimenter schon bei Tagesanbruch 
wieder in guter Ordnung beisammen. Keine Spur von jener gedrückten 
Stimmung, die nach unglücklichen Kämpfen selbst den Tapferen überkommt; 
gleich lebhaft verlangten die Soldaten wie die Führer nach einer neuen 
Schlacht um die Scharte auszuwetzen. Einige tausend Mann von den neuge- 
bildeten westphälischen Regimentern waren freilich versprengt, irrten an der 
Römerstraße entlang der Maas und dem Rheine zu. Doch von den erprobten 
Truppen aus den alten Provinzen fehlte fast Niemand; die Wenigen unter 
diesen Veteranen von 1813, die im Dunkel der Nacht von ihren Regimen- 
tern ostwärts abgekommen, schlossen sich, sobald sie auf Bülow's Corps trafen, 
diesem an und nahmen noch Theil an der Schlacht von Belle Alliance. 
Glücklicher hatte das englische Heer den heißen Tag überstanden. Als
	        
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