Schlachtfeld von Belle Alliance. 753
Centrum bei Mont St. Jean; hier unter einer Ulme, auf einer Boden—
welle neben der Landstraße konnte er fast die ganze Aufstellung über—
blicken und nach seiner Gewohnheit Alles unmittelbar leiten. Einige
hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Festung drei
stark besetzte Positionen: vor der Rechten das Schloß Goumont inmitten
der alten Bäume seines Parkes, von hohen Mauern unschlossen; vor
dem Centrum an der Landstraße das Gehöfte La Haye Sainte; vor dem
äußersten linken Flügel die weißen Häusergruppen von Papelotte und La
Haye. Die Straße fällt südlich von Mont St. Jean sanft ab, führt dann
völlig eben durch offene Felder und steigt eine starke halbe Stunde weiter
südlich, nahe bei dem Pachthofe La Belle Alliance wieder zu einem anderen
niederen Höhenzuge empor, so daß das Schlachtfeld eine weite, mäßig ein-
getiefte Mulde bildet, die allen Waffen den freiesten Spielraum gewährt.
Auf diesen Höhen bei Belle Alliance stellte Napoleon sein Heer auf,
Reille zur Linken, Erlon zur Rechten der Straße, dahinter bei Rossomme
die Reserve; sein Plan war einfach durch einen oder mehrere Frontal-
angriffe die Linien der Engländer zu durchbrechen, wo möglich an der
schwächsten Stelle, auf ihrem linken Flügel. Da die unsicheren Feuer-
waffen jener Zeit dem Angreifer erlaubten mit ungebrochener Kraft nahe
an den Vertheidiger heranzugelangen, so hoffte der Imperator durch
ungeheure Massenschläge den zähen Gegner niederzuringen. Seine
Kriegsweise war während der letzten Jahre immer gewaltsamer geworden;
heute vollends, in der fieberischen Leidenschaft des verzweifelten Spielers
zeigte er die ganze Wildheit des Jacobiners, ballte viele Tausende seiner
Reiter, ganze Divisionen des Fußvolks zu einer einzigen Masse zusammen,
damit sie wie die Phalangen Alexander's mit ihrem Elephantentritt Alles
zermalmten. So begann die Schlacht — ein beständiges Vordringen und
Zurückfluthen der Angreifer gleich der Brandung am steilen Strande —
bis dann das Erscheinen der Preußen in Napoleon's Rücken und rechter
Flanke den Schlachtplan des Imperators völlig umstieß. Der Kampf
verlief wie eine planvoll gebaute Tragödie: zu Anfang eine einfache Ver-
wicklung, dann gewaltige Spannung und Steigerung, zuletzt das Herein-
brechen des Alles zermalmenden Schicksals; unter allen Schlachten der
modernen Geschichte zeigt wohl nur die von Königgrätz in gleichem Maße
den Charakter eines vollendeten Kunstwerks. Der letzte Ausgang hinter-
ließ in der Welt darum den Eindruck einer überzeugenden, unabwend-
baren Nothwendigkeit, weil ein wunderbares Geschick jeder der drei Na-
tionen und jedem der Feldherren genau die Rolle zugewiesen hatte,
welche der eigensten Kraft ihres Charakters entsprach: die Briten bewährten
in der Vertheidigung ihre kaltblütige, eiserne Ausdauer, die Franzosen
als Angreifer ihren ritterlichen, unbändigen Muth, die Preußen endlich
die gleiche stürmische Verwegenheit im Angriff und dazu, was am schwersten
wiegt, die Selbstverleugnung des begeisterten Willens.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 48