754 II. 2. Belle Alliance.
Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raschen Sieg, da er die
Preußen fern im Südosten bei Namur wähnte. Seine Armee zählte
über 72,000 Mann, war dem Heere Wellington's namentlich durch ihre
starke Cavallerie und die Ueberzahl der Geschütze — 240 gegen 150
Kanonen — überlegen. Unter solchen Umständen schien es unbedenklich
den Angriff auf die Mittagszeit zu verschieben, bis die Sonne den durch—
weichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu schrecken
und die Zuversicht des eigenen Heeres zu steigern, veranstaltete der
Imperator im Angesichte der Engländer eine große Heerschau; krank wie
er war, von tausend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl
auch selber das Bedürfniß sich das Herz zu erheben an dem Anblick
seiner Getreuen. So oft er späterhin auf seiner einsamen Insel dieser
Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: „die
Erde war stolz so viel Tapfere zu tragen!“ Und so standen sie denn
zum letzten male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von
den Pyramiden, von Austerlitz und Borodino, die so lange der Schrecken
der Welt gewesen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit
nichts gerettet hatten als ihren Soldatenstolz, ihre Rachgier und die
unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler schlugen an; die
Feldmusik spielte das Partant pour la Srie! In langen Linien die
Bärenmützen der Grenadiere, die Roßschweifhelme der Kürassiere, die be-
troddelten Czakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Lanciers,
eines der prächtigsten und tapfersten Heere, welche die Geschichte sah. Die
ganze prahlerische Glorie des Kaiserreichs erhob sich noch einmal, ein über-
wältigendes Schauspiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erschien
der große Kriegsfürst in seiner finsteren Majestät, so wie der Dichter sein
Bild kommenden Geschlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der
Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brausenden Hoch-
rufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgestern erst
auf's Neue seine Unbesiegbarkeit erwiesen. Und doch kam dieser krampf-
hafte Jubel, der so seltsam abstach von der gehaltenen Stille drüben im
englischen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtsein der Schuld, die
Ahnung eines finsteren Schicksals lag über den tapferen Gemüthern. Zehn
Stunden noch, und die verwegene Hoffnung des deutschen Schlachten-
denkers war erfüllt, und dies herrliche Heer mit seinem Trotze, seinem
Stolze, seiner wilden Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte
Schwadron.
Um ½12 Uhr begann Napoleon die Schlacht, ließ seinen linken
Flügel gegen das Schloß Goumont vorgehen, während er zugleich auf seiner
Rechten die Anstalten für den entscheidenden Stoß traf. Vier Divisionen
Fußvolk schaarten sich dort zu einer riesigen Heersäule zusammen; eine bei
Belle Alliance aufgestellte große Batterie bereitete durch anhaltendes Ge-
schützfeuer den Angriff vor. Gegen ½2 Uhr führte General Erlon