Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Bülow bei Frichemont. 759 
und bis in das französische Centrum hinein verbreitete sich schon die 
Schreckenskunde, dort auf der Rechten sei Alles verspielt. 
Gegen 7 Uhr war die Schlacht für Napoleon unzweifelhaft ver- 
loren. Sein linker Flügel hatte wieder und wieder vergeblich das Schloß 
Goumont berannt, im Centrum war der große Reiterangriff gescheitert, 
auf der Rechten und im Rücken drängten die Preußen von zwei Seiten 
her näher und näher; den einzigen Gewinn der letzten Kämpfe, die 
Meierei von La Haye Sainte auf die Dauer zu behaupten war nicht 
mehr möglich. Durch einen rechtzeitigen Rückzug konnte noch mindestens 
die Hälfte des Heeres gerettet werden. Es ergab sich aber nothwendig 
aus dem Charakter des Imperators und aus seiner verzweifelten poli- 
tischen Lage, daß er diesen Ausweg verschmähte und noch einen dritten 
allgemeinen Angriff versuchte — diesmal nach zwei Seiten zugleich. Er 
ließ um sieben Uhr die 24 Bataillone seiner Garde heranrufen, behielt 
nur zwei als letzte Reserve zur Hand, sendete zwölf nach Plancenoit 
gegen Bülow. Die übrigen zehn sollte Ney zu einem neuen Angriff 
gegen das englische Centrum führen, abermals westlich der Landstraße, 
möglichst entfernt von den Schaaren Zieten's. Mit stürmischem Hochruf 
eilten die Bataillone bei Belle Alliance an dem Imperator vorüber: es 
war ja ihr Handwerk den Sieg zu entscheiden. Sie tauchen dann in 
die unheimliche Bodenmulde hinab, wo dichte Haufen von Leichen und 
Pferden den Todesweg der französischen Reiter bezeichnen, stürmen unter 
Trommelschlag, unbekümmert um die Geschosse der englischen Batterien, 
über die Felder, ersteigen den Abhang dicht vor der Front der britischen 
Garde. Droben liegen indessen Maitland's Grenadiere im Grase ver- 
borgen. Als die ersten Bärenmützen auf der Höhe erscheinen, schallt weit- 
hin Wellington's durchdringender Ruf: „auf, Garden! fertig!“ — und 
mit einemmale steigt dicht vor den Augen der entsetzten Franzosen eine 
rothe Mauer auf, die lange Linie der englischen Garde, eine furchtbare 
Salve kracht auf wenige Schritte Entfernung in die Reihen der Angreifer 
hinein. Ein kurzes wüthendes Handgemenge, dann werden die Blauen 
von den Rothen mit dem Bajonett den Abhang hinuntergeschleudert. 
Ney's Pferd bricht von einer Kugel getroffen unter dem Reiter zusammen, 
und wie sie den Führer fallen sehen wenden sich die Garden zur Flucht. 
Der aber macht sich von seinem Thiere los, springt auf, versucht mit 
zornigen Rufen die Weichenden zu halten. Umsonst; denn mittlerweile 
sind die übrigen Bataillone weiter links zwischen zwei Feuer gerathen 
und gehen ebenfalls zurück. Die Kaisergarde stiebt auseinander; ihr un- 
glücklicher Führer irrt baarhaupt, mit zerbrochenem Degen auf dem 
Schlachtfelde umher und sucht vergeblich die Kugel, die ihn von seiner 
Gewissensangst und seinen finsteren Ahnungen erlösen soll. 
Indem hatte Blücher schon den Schlag geführt, der die Vernichtung 
des napoleonischen Heeres entschied. Die Truppen Bülow's gingen in
	        
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