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drei Colonnen im Sturmschritt auf Plancenoit vor. In und neben dem
Dorfe hielten jene zwölf frischen Bataillone der Kaisergarde; und sie
fochten mit dem höchsten Muthe, denn Alle fühlten, daß hier die Ent—
scheidung des ganzen Krieges lag. Die anstürmenden Preußen sahen sich
im freien Felde den Kugeln der Vertheidiger, die in den Häusern und
hinter den hohen Mauern des Kirchhofs verdeckt standen, schutzlos preis—
gegeben. Dieser letzte Kampf ward fast der blutigste dieses wilden Zeit—
alters; das Corps Bülow's verlor in viertehalb Stunden 6353 Mann,
mehr als ein Fünftel seines Bestandes, nach Verhältniß ebenso viel wie
die englische Armee während des ganzen Schlachttages. Der erste und
der zweite Sturm ward abgeschlagen; da führte Gneisenau selbst die schle—
sischen und pommerschen Regimenter zum dritten male vorwärts, und jetzt
gegen 8 Uhr drangen sie ein. Noch ein letzter wüthender Widerstand in
der Dorfgasse, dann entwich die Garde in wilder Flucht; ihr nach Major
Keller mit den Füsilieren des 15. Regiments, dann die anderen Bataillone.
Auf der ganzen Linie erklang in langgezogenen Tönen das schöne Signal
der preußischen Flügelhörner: Avanciren! Zu gleicher Zeit ward weiter
nördlich das Corps Lobau's von Bülow's Truppen in der Front, von
Zieten's Reitern in der Flanke gepackt und völlig zersprengt. Die beiden
Heertheile der Preußen vereinigten sich hier; der furchtbare Ring, der den
rechten Flügel der Franzosen auf drei Seiten umklammern sollte, war
geschlossen. Von Norden drängten die Engländer, von Osten und Süden
die Preußen heran. Den Truppen Zieten's wies Grolman die Richtung
nach der Höhe hinter dem Centrum der Franzosen, nach dem Pachthof
La Belle Alliance, der mit seinen weißen Mauern weithin erkennbar wie
ein Leuchtthurm über dem tiefen Gelände emporragte. Dorthin nahmen
auch die Sieger von Plancenoit ihren Weg.
Ueber 40,000 Preußen hatten noch am Gefechte theilgenommen, und
jetzt da die Arbeit fast gethan war kam auch das Armeecorps Pirch's von
den Höhen hinter Plancenoit herab. Napoleon war während dieser letzten
Stunde nach La Haye Sainte vorgeeilt um die Division Quiot noch
einmal zum Angriff auf Mont St. Jean vorzutreiben. Sobald er zu
seiner Linken die Niederlage Ney's und gleichzeitig den Zusammenbruch
des gesammten rechten Flügels bemerkte, sagte er wie vernichtet: „es ist
zu Ende, retten wir uns!“ Er eilte an der Landstraße zurück, nicht ohne
schwere Gefahr, denn schon ward die Straße zugleich von den Engländern
und von Zieten's Batterien mit einem heftigen Kreuzfeuer bestrichen.
Schweigsam, unbeweglich, mit wunderbarer Selbstbeherrschung sah
Wellington auf die ungeheure Verwirrung. Sein Heer war nicht nur
völlig ermattet, sondern auch in seiner taktischen Gliederung ganz gebrochen;
der lange Kampf hatte alle Truppentheile wirr durcheinander geschüttelt,
aus den Trümmern der beiden prächtigen Reiterbrigaden Ponsonby und
Somerset stellte man soeben zwei Schwadronen zusammen. Keine Mög—