Die Entscheidung bei Plancenoit. 761
lichkeit, mit solchen Truppen noch ein entscheidendes Gefecht zu bestehen.
Der Herzog wußte wohl, daß allein das Erscheinen der Preußen ihn vor
einer unzweifelhaften Niederlage bewahrt hatte; seine wiederholten dringen—
den Bitten an Blücher lassen darüber keinen Zweifel. Doch er war dem
militärischen Ehrgefühle seiner Tapferen eine letzte Genugthuung schuldig;
auch sah er mit staatsmännischer Feinheit voraus, wie viel gewichtiger
Englands Wort bei den Friedensverhandlungen in die Wagschale fallen
mußte, wenn man sich so anstellte, als hätten die britischen Waffen die
Schlacht im Wesentlichen allein entschieden. Darum ließ er, sobald er
den rechten Flügel der Franzosen dem preußischen Angriffe erliegen sah,
alle irgend verwendbaren Trümmer seines Heeres noch eine Strecke weit
vorrücken. Auf diesem letzten Vormarsch trieb der hannoversche Oberst
Halkett die beiden einzigen Vierecke der Kaisergarde, die noch zusammen-
hielten, vor sich her und nahm ihren General Cambronne mit eigenen
Händen gefangen. Aber die Kraft der Ermüdeten versagte bald, sie ge-
langten nur wenig über Belle Alliance hinaus. Wellington überließ,
nachdem er den Schein gerettet, die weitere Verfolgung ausschließlich den
Preußen, die ohnehin dem Feinde am nächsten waren.
Die Geschlagenen ergriff ein wahnsinniger Schrecken. Kein Befehl
fand mehr Gehör, Jeder dachte nur noch an sein armes Leben. Fußvolk
und Reiter wirr durcheinander, flohen die aufgelösten Massen auf und
neben der Landstraße südwärts; die Troßknechte zerhieben die Stränge
und sprengten hinweg, so daß die 210 Kanonen allesammt bis auf etwa 27
in die Hände der Sieger fielen. Selbst der Ruf L'Empereur! der sonst
augenblicklich jeden Weg dem kaiserlichen Wagen geöffnet hatte, verlor
heute seinen Zauber; der kranke Napoleon mußte zu Pferde davonjagen,
obgleich er sich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen
schaarten sich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht
verloren gegangen, die übrigen wurden allesammt gerettet. Niemals in
aller Geschichte war ein tapferes Heer so plötzlich aus allen Fugen ge-
wichen. Nach der übermenschlichen Anstrengung des Tages brach alle
Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zusammen; das
Dunkel der Nacht, die Uebermacht der Sieger, der umfassende Angriff
und die rastlose Verfolgung steigerten die Verwirrung. Entscheidend blieb
doch, daß diesem Heere bei all seinem stürmischen Muthe die sittliche Größe
fehlte. Was hielt diese Meuterer zusammen? Allein der Glaube an
ihren Helden. Nun dessen Glücksstern verbleichte, waren sic nichts mehr
als eine zuchtlose Bande.
Die Sonne war schon hinter dicken Wolken versunken, als die beiden
Feldherren eine Strecke südlich von dem Hofe von Belle Alliance mit ein-
ander zusammen trafen; sie umarmten sich herzlich, der bedachtsame Vier-
ziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneisenau. Endlich doch ein
ganzer und voller Sieg, wie er ihn so oft vergeblich von Schwarzenberg