762 II. 2. Belle Alliance.
gefordert; endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle
Schmach jener entsetzlichen sieben Jahre! Es sang und klang in seiner
Seele; er dachte an das herrlichste der fridericianischen Schlachtfelder,
das er einst von seiner schlesischen Garnison aus so oft durchritten hatte.
„Ist es nicht gerade wie bei Leuthen?“ — sagte er zu Bardeleben und
sah ihn mit strahlenden Augen an. Und wirklich, wie einst bei Leuthen
bliesen jetzt die Trompeter das Nun danket Alle Gott! und die Soldaten
stimmten mit ein. Aber Gneisenau dachte auch an die Schreckensnacht
nach der Schlacht bei Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er
die Todesangst eines geschlagenen Heeres, die dämonische Wirkung einer
nächtlichen Verfolgung mit angesehen. Noch gründlicher als einst an der
Katzbach, sollte heute der Sieg ausgebeutet werden. „Wir haben“, rief
er aus, „gezeigt wie man siegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt."“
Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken
zu bleiben, immer auf's Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hinein-
zuschießen, damit der Feind nirgends Ruhe fände. Er selber nahm was
von Truppen zur Hand war mit sich, brandenburgische Ulanen und
Dragoner, Infanterie vom 15. und 25. und vom 1. pommerschen Regimente;
Prinz Wilhelm der Aeltere, der die Reservereiterei des Bülow'schen Corps
geführt, schloß sich ihm an.
So brauste die wilde Jagd auf der Landstraße dahin; nirgends hielten
die Flüchtigen Stand. Erst bei Genappe, wo die Straße auf einer engen
Brücke das Thal der Dyle überschreitet, versuchten die Trümmer der
kaiserlichen Garde den Ulanen zu widerstehen; doch kaum erklang, gegen
11 Uhr, der Sturmmarsch des preußischen Fußvolks, so brachen sie aus-
einander. General Lobau und mehr als 2000 Mann geriethen hier in
Gefangenschaft; auch der Wagen Napoleon's mit seinem Hut und Degen
ward erbeutet. Welche Ueberraschung als man die Sitzkissen aufhob;
der große Abenteurer hatte sich die Mittel sichern wollen für den Fall
der Flucht, den Wagen über und über mit Gold und Edelsteinen ange-
füllt. Die armen pommerschen Bauernburschen standen vor dem Glanze
fast ebenso rathlos wie einst die Schweizer bei Granson vor dem Juwelen-
schatze des Burgunderherzogs; Mancher verkaufte einen kostbaren Stein
für wenige Groschen. Das prächtige Silbergeschirr des Imperators be-
hielten die Offiziere der Fünfundzwanziger und schenkten es der Lieblings-
tochter ihres Königs als Tafelschmuck.
Gneisenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verschnaufen
rastlos weiter. Drüben jenseits der Dyle glaubten die Franzosen sicher zu
sein und hatten sich zur Beiwacht gelagert. Mindestens siebenmal wurden
sie durch die nachsetzenden Preußen von ihren Feuern aufgescheucht. Als
sein Fußvolk nicht mehr weiter konnte, ließ Gneisenau einen Trommler
auf ein Beutepferd aufsitzen; der mußte schlagen was das Kalbfell aus-
halten wollte, und weiter ging es mit den Ulanen und etwa fünfzig